Mit Nadel, Schere und eisernem Willen
Autor: Peter Müller
Kulmbach, Dienstag, 21. März 2017
Rakan Ali aus Syrien ist der erste Kulmbacher Asylbewerber, der ein eigenes Geschäft eröffnet - eine Schneiderwerkstatt. Der 36-Jährige hatte viele Helfer.
Rakan Ali, seine Frau Mezkin Hussein und ihr kleiner Sohn Iwan gehören zu den rund 730 Flüchtlingen, die derzeit im Landkreis leben. 345 von ihnen sind als Asylbewerber anerkannt, 389 warten noch auf den Abschluss ihres Verfahrens. Die meisten Menschen kommen aus Syrien. Nicht allen wird es gelingen, in Deutschland Fuß zu fassen. Rakan Ali aus Syrien hat schon einen großen Schritt geschafft: Morgen um 19 Uhr wird er eine Schneiderwerkstatt im Atelier von Andreas Schobert in der Oberen Stadt eröffnen - eine Premiere in Kulmbach.
Der 36-jährige Familienvater, der ebenso wie seine Frau ("Ich will alles selber verstehen und machen") einen eisernen Willen hat, steht beispielhaft nicht nur für eine gelungene Integration, sondern zeigt auch, dass die Kulmbacher Netzwerke in der Flüchtlingsarbeit funktionieren. Denn ohne die gelingt es Menschen aus anderen Kulturkreisen kaum, sich in der deutschen Bürokratie-Landschaft zurechtzufinden.
Vorerst nur Nebenerwerb
So haben auch zwei Kulmbacher an Rakan Alis Erfolgsgeschichte maßgeblich mitgeschrieben. Der frühere Geschäftsführer Edgar Schoberth und seine Frau Margit, die zusammen mit dem "altgedienten" Betreuer Anton Steinl aus Burghaig im November 2016 offiziell als Flüchtlingscoaches vorgestellt worden waren, kümmern sich um die kurdische Familie. Vom Sammeln der ersten Informationen über die Gewerbeanmeldung bei der Handwerkskammer bis hin zu Berufshaftpflichtversicherung und Berufsgenossenschaft - Schoberth konnte für Ali seine vielfältigen Erfahrungen einbringen."Er darf als Schneider ohne Meisterprüfung Maß- und Änderungsarbeiten durchführen. Das Jobcenter hat aber nur den Nebenerwerb mit maximal 15 Stunden pro Woche erlaubt, weil er sonst aus der Grundsicherung herausfallen würde", so der Betreuer, dessen Hauptanliegen es ist, dass Ali nicht in eine Schuldenfalle gerät. "Wenn die ersten Bilanzen vorliegen, dann wird der Gewinn von der Grundsicherung abgezogen. Nur hundert Euro sind frei."
Klein anfangen, lautet also die Devise, und da kommt auch Andreas Schobert ins Spiel.
Werkstatt zunächst kostenlos
Die Bayerische Rundschau hatte im Januar über den Berufswunsch des 36-jährigen Syrers berichtet und Edgar Schoberths Aufruf weitergegeben, dass sich Vermieter eines geeigneten Raumes melden sollen. Andreas Schobert erhörte die Bitte - und zeigte sein großes Herz: Bis Oktober stellt er in seinem Kunstatelier in der Oberen Stadt einen Raum für die Werkstatt kostenlos zur Verfügung. "Jeder sollte sich überlegen, was er für diese Menschen tun kann", sagt Schobert und verweist auf die uralte Symbiose zwischen Kunst und Handwerk: "Schon van Gogh hatte sein Atelier auch für Handwerker zur Verfügung gestellt."Im Gegenzug kann ihm Rakan Ali bei der Verwirklichung eines künstlerischen Projekts unter dem Motto "Welten wachsen zusammen" helfen. Schobert, der sich aktuell mit künstlichem Rost beschäftigt, will in dieser Technik Stoffe aus Deutschland und Syrien zusammenführen. "Und dazu brauche ich einen Schneider."
Rakan Ali wird's recht sein. Er hat inzwischen sogar den Führerschein erworben und sich ein günstiges Auto zugelegt. Damit, so sein Plan, will er seinen Kunden auch einen mobilen Service anbieten. Seine Frau war ebenfalls nicht untätig: Sie hat die B2-Sprachprüfung bestanden und die Zusage als Drittlehrkraft an der Oberen Schule erhalten. Doch das ist wieder eine andere Geschichte...
Eröffnung Am Donnerstag, 23. März, um 19 Uhr im Atelier Schobert, Obere Stadt 10.
Gäste Geladene Gäste, aber auch alle interessierten Bürger sind herzlich willkommen. Es gibt Tee und syrisches Gebäck.
Rahmenprogramm Ausstellung künstlerischer Arbeiten von Andreas Schobert.
Öffnungszeiten Mittwoch bis Samstag von 12 bis 15 Uhr und nach Vereinbarung.
Leistungen Änderungen und Reparaturen aller Art, Reißverschlüsse, Bügelservice, Nähen von Wohntextilien, Lederarbeiten, Maßanfertigungen. mü
Drei Jahre auf der Flucht
Schon als kleiner Bub schneiderte Rakan Ali gerne, auch zwei Brüder üben diesen Beruf aus. Sein Talent für dieses Handwerk liegt also in der Familie. Zuerst führte er in Qamischli eine eigene Werkstatt, dann in Damaskus. Dort war vor fünf Jahren die berufliche Karriere zu Ende, denn unter der Herrschaft der schiitischen Minderheit fanden syrische Kurden keine soziale Anerkennung und hatten nur begrenzte Rechte. Der Bürgerkrieg sorgte dann für die Entscheidung, zu flüchten.
Am 27. Juli 2012 überquerte Ali zunächst alleine die Grenze zur Türkei, was damals noch möglich war. Ein vorheriger Versuch, über Russland nach Europa zu gelangen, war negativ verlaufen. Doch in Istanbul fand er Arbeit und Wohnung.
Am 30. August konnte seine Frau mit Sohn Iwan und der Familie seines Bruders nachkommen, ebenso weitere Verwandte. Das Ehepaar verbrachte drei Jahre in der türkischen Metropole, um Geld für die weitere Flucht zu verdienen. Am 29. Juni war es dann soweit: In überfüllten Lkw und nach einem elfstündigen Fußmarsch erreichte die Familie Serbien. Über Ungarn, wo man sich längere Zeit vor der Grenzpolizei im Gras verstecken musste, wurde Passau erreicht.
Für die Flucht musste die Familie einen fünfstelligen Betrag bezahlen. Namen der Schlepper oder "Transporteure" sind bis heute unbekannt.