Mit dem Rollstuhl kommst du nicht zum Zug
Autor: Alexander Hartmann
Kulmbach, Freitag, 16. April 2021
Von der Barrierefreiheit sind viele Bahnhöfe weit entfernt. In Kulmbach kommt Rollstuhlfahrer Sebastian Müller nicht zum Zug.
Barrierefreiheit? Die Bahnhöfe im Landkreis Kulmbach haben da ihre Macken. "In Kulmbach bist du aufgeschmissen", sagt Sebastian Müller, der das aus eigener, leidvoller Erfahrung weiß. Der 35-Jährige ist mehrfach behindert, auf den Rollstuhl angewiesen. Er arbeitet als Sozialpädagoge in Regensburg, fährt am Wochenende regelmäßig mit dem Zug ("Zurzeit leider nicht, weil ich warten muss, bis ich gegen Corona geimpft bin") zu seiner Mutter nach Untersteinach. In Kulmbach oder Untersteinach aussteigen kann er nicht. Denn er ist bei den Regional-Expresszügen auf einen Hublift angewiesen, den es an den Bahnhöfen nicht gibt. Was er in Kulmbach zudem beklagt: Es gibt keinen Aufzug, der ihm den Übergang von den Bahnsteigen zum Bahnhofsgebäude ermöglichen würde. "Mit einem Zugang über Treppen habe ich keine Chance."
Ausstieg in Bayreuth
Wie Sebastian Müller von Regensburg nach Untersteinach kommt? Er fährt bis Bayreuth, wird dort von seiner Mutter abgeholt. "Am Bayreuther Bahnhof sind Hublifte vorhanden, die wir Rollstuhlfahrer benötigen, um beim Regionalexpress beim Ein- oder Ausstieg Treppen zu überwinden." Dass es in Bayreuth zudem auch Aufzüge gibt, sei nicht nur für Menschen mit einer Behinderung, sondern auch für viele ältere Leute, für Eltern, die mit dem Kinderwagen unterwegs sind, für Senioren oder auch Radfahrer eine große Hilfe. Helfen würde Sebastian Müller gerne Politikern und Vertretern der Bahn. "Ich würde ihnen zeigen, wo es aus meiner Sicht an den Bahnhöfen im Landkreis Kulmbach noch gewaltig hapert."
"So bringt es nichts"
Zwar wurden in Untersteinach jetzt Aufzüge installiert, doch nicht überall, wo viel Geld fließt, komme die Investition auch Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung zugute, sagt der 35-Jährige. Beispiel Marktschorgast: Am dortigen Bahnhof wurde eine teure Überquerungsbrücke gebaut, die von Gleis 1 auf Gleis 2 führt - Aufzüge wurden aber nicht installiert. "So bringt es einem Rollstuhlfahrer gar nichts."
Marktschorgast: Die 1000er-Regel
Abhilfe wird in Marktschorgast wohl nicht geschaffen. Wie ein Sprecher der Deutschen Bahn mitteilt, findet im nationalen und europäischen Eisenbahnbaurecht beim barrierefreien Ausbau die "1000-Reisende-Regelung" Anwendung. "Das bedeutet, dass das Erreichen einer Reisendenzahl von 1000 Ein- und Aussteigern pro Tag grundsätzlich eine Voraussetzung für den barrierefreien Ausbau eines Bahnhofs ist." Eine Fahrgastzahl, die Marktschorgast bei weitem nicht hat. Dort steigen, wie die Bayerische Eisenbahngesellschaft auf Nachfrage mitteilt, pro Wochentag durchschnittlich nur 180 Reisende ein und aus.
Alle Bemühungen sind gescheitert
Zwar gibt es im Freistaat ein Programm "Bayern barrierefrei 2023", viele kleinere Bahnhöfe werden aber in zwei Jahren im Freistaat noch lange nicht barrierefrei sein. Auch der Kulmbacher Bahnhof nicht. Allen Bemühungen der lokalen Politprominenz zum Trotz, die schon in der Zeit, als der heutige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) noch bayerischer Ministerpräsident war, vergeblich darauf gehofft hatte, dass Kulmbach in das "Bayern-Paket 2019" aufgenommen wird - ein Maßnahmenpaket, das aufgelegt worden war, um Verkehrsstationen rollstuhlgerecht auszubauen.
Bis auf kleinere kosmetische Korrekturen ist Kulmbach bis dato allerdings nicht zum Zug gekommen. Vor kurzem sind rund 300 000 Euro aus einem "Handwerkerprogramm" des Bundes in die Sanierung der Bahnhofshalle, in die Erneuerung der Eingangstüren, in die Instandsetzung der Treppenstufen zu den Bahnsteigen und in die Erneuerung der Ausstattungselemente geflossen. Alles Verschönerungsmaßnahmen, die Bahnfahrer begrüßen, die auf ihrer Wunschliste aber wahrlich nicht ganz oben stehen.
Mit wenigen Mitteln wäre viel möglich
Dabei könnte man auch in Kulmbach schon mit wenigen Mitteln in Sachen Barrierefreiheit viel bewegen, wie Sebastian Müller deutlich macht. Der 35-Jährige kann bei den Zügen der Eisenbahngesellschaft Agilis bequem ein- und aussteigen, "weil die Züge über einen ebenerdigen Einstieg verfügen und für die Überbrückung der Bahnsteigkante eine Rampe mitführen, die vom Zugpersonal am Zug angelegt werden kann".
Vorschlag abgeschmettert
Das Kulmbacher Handicap: Agilis-Züge fahren hier nicht auf auf Gleis 1 ein, von dessen Bahnsteig man direkt, ohne Treppen bewältigen zu müssen, den Bahnhof verlassen kann.
Schon vor Jahren hat der Untersteinacher der Deutschen Bahn den Vorschlag unterbreitet, Agilis-Züge künftig auf Gleis 1 einfahren zu lassen. Seine Bitte wurde abgelehnt, "weil sich die Fahrzeit durch die Umleitung der Agilis-Züge um zwei Minuten verlängern würde".
Ein Schattendasein
Bewegt hat sich die Bahn bei diesem Thema bis heute nicht. Auf eine neuerliche Anfrage der Bayerischen Rundschau antwortet ein Sprecher nun. "Dieses Anliegen wurde geprüft und aus fahrplantechnischer Sicht leider abgelehnt." Zig Millionen sind in den vergangenen Jahren in das Umfeld des Bahnhofes auf dem Spinnereiareal geflossen. In den Bahnhof selbst nicht. Das "Eingangstor zur Stadt" fristet ein Schattendasein - in einer Zeit, in der Barrierefreiheit propagiert wird, vieles aber nicht barrierefrei ist. Was Bahnfahrern wie dem Untersteinacher Sebastian Müller die Zugreise nicht selten unmöglich macht.