Druckartikel: Missen impossible

Missen impossible


Autor: Jochen Nützel

Kulmbach, Donnerstag, 20. Oktober 2016

Wenn eine sterbenslangweilige Branche auf sich aufmerksam machen will, was veranstaltet sie dann? Genau: eine Miss-Wahl.
Foto: dpa


Was die Schönheit im Allgemeinen und der Wein im Besonderen längst mit ihren im Jahresturnus gekrönten Königinnen können, versuchen jetzt viele zu imitieren. So kam es, dass das Bestattungsgewerbe tatsächlich seine erste "Miss Abschied" kürte. Zum Ableben schön, gell? Oder doch eher ein Miss-Griff?

Wie weit es ist es noch bis zur "Miss Gebildet" an der Universität? Wann ruft der Bauernverband nach dem nächsten schlechten Ertragsjahr auf, endlich die "Miss Ernte" zu dekorieren? Wieso gibt es beim Quiz-Club nicht längst die "Miss Raten", bei der Bank die "Miss Kredit" und bei den Pneumologen die "Miss Lungen"? Ich pfeif' da drauf, ehrlich gesagt.

Eine Kollegin bei mir im Verlag spann den Faden weiter. Sie brachte die Discounter-Königin ins Spiel ("Miss Billig/Günstig"), die schnuckeligste Sängerin ("Miss Töne") und die herzigste Standesbeamtin ("Miss Trauen"). Letztere verdient geradezu eine Abstimmung, quasi ein Miss-Trauen(s)-Votum.

Merkt Ihr was, Ihr Wettbewerbsgeilen? Man muss nicht aus allem eine Schönheits-Konkurrenz zelebrieren. Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Und wenn jemand mit einer Schärpe vor mir steht, die ihn/sie als den/die angeblich Schönste unter den Sowiesos preist, dann gilt ein abgewandeltes Sprichwort: Nicht nur Namen, auch Titel sind Schall und Rauch. Und in dem geht auch die ach so hübsche "Miss Abschied" irgendwann auf. Erst vergeht die Schönheit, dann der ganze Mensch. Es sei denn, wir glauben an einen Neustart im Leben. Läuft schon die Wahl zur Miss (Wieder-)Geburt?