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Missbrauchsprozess: Zeugin zeichnet Opa am Galgen


Autor: Stephan Tiroch

Kulmbach, Dienstag, 08. März 2016

Die Strafkammer analysiert das Tagebuch einer Enkelin des Angeklagten. "Ich hatte Hassgefühle, und habe sie immer noch", sagt die Zeugin.
Die zentrale Frage im Missbrauchsprozess vor dem Landgericht Bayreuth lautet: Sind die Belastungszeuginnen glaubwürdig oder nicht? Diplom-Psychologin Gabriele Drexler-Meyer aus Nürnberg muss am Dienstag Tagebuch-Eintragungen einer Enkelin bewerten. Foto: Stephan Tiroch


Das ist ganz starker Tobak: Bilder des Großvaters am Galgen, unter der Guillotine oder mit dem Sensenmann, gezeichnet von der Enkelin, die dem Opa alles Schlechte an den Hals wünscht. "Er hat es verdient zu sterben", steht als Randbemerkung daneben. Die Bilder und Aufzeichnungen der heute 26-jährigen Frau sollen zirka zehn Jahre alt sein. Damit will sie den Missbrauch durch ihren Großvater verarbeitet haben.


Sind die Seiten echt oder fingiert?

Sind die sieben aus einem Buch rausgerissenen Seiten echt oder fingiert? Hat der angesprochene Missbrauch stattgefunden oder sind die Taten erfunden? Kann man der Enkelin glauben? Alles Fragen, die die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Bayreuth zu beantworten hat.
Dort muss sich seit September ein 71-jähriger Mann verantworten, dem von seiner Tochter, seiner Ex-Frau und zwei Enkelinnen Vergewaltigung und weitere schwere Sexualstraftaten vorgeworfen werden.

Im Prozess gegen den Unternehmer, der sich den Kachelmann-Anwalt Johann Schwenn als Verteidiger leistet, analysiert das Gericht am Dienstag die Einträge im Tagebuch. Auf Nachfrage gibt die Zeugin an, dass sie ihrem Großvater nicht wirklich den Tod gewünscht habe. Aber seine Übergriffe hätten sie sehr stark belastet. "Ich hatte Hassgefühle, und habe sie immer noch."


Material im Keller gefunden

Sie habe das Material erst kürzlich im Keller gefunden, erklärt sie. Sie sei überrascht gewesen, dass sie sogar noch 2011 dort etwas reingeschrieben hat: "Ich bin 21. Lange habe ich Dich vergessen. Ich kann mir nicht vorstellen, warum es jetzt so schlimm ist." Den Großteil der Aufzeichnungen datiert sie auf das Jahr 2006 - also weit vor dem Prozess und auch vor dem Jahr 2014, als die Frauen Anzeige gegen den schwerreichen Familienpatriarchen erstattet haben.

Der Verteidiger, der die Zeugin für eine geschickte Lügnerin hält, will wissen, warum sie trotz der angeblichen Übergriffe immer noch Geld vom Opa angenommen habe. Sie räumt ein, Beträge von 200 oder 300 Euro zum Geburtstag oder zu Weihnachten nicht ausgeschlagen zu haben, um sich blöde Fragen ("Hast wohl zu viel Geld?") zu ersparen und Vorwürfe, dass sie trotzig oder undankbar sei.

Nachdem sie eine vom Großvater finanzierte Ausbildungsversicherung erst auf Vorhalt des Gerichts einräumt ("irgendwie eine Summe um 20 000 Euro"), zweifelt der Verteidiger die Aussageehrlichkeit der Zeugin an. Worauf Staatsanwalt Daniel Götz der Kragen platzt: Schwenn solle nicht immer "dazwischengackern". Er rügt die Taktik des Hamburger Anwalts, die Zeugin zu verunsichern.


Bewertung der Gutachterin

Diplom-Psychologin Gabriele Drexler-Meyer aus Nürnberg, die als Glaubwürdigkeitsgutachterin vom Gericht engagiert ist, bewertet die Tagebucheinträge. Nach Ansicht der Gutachterin spricht nichts für eine Täuschung, eine Inszenierung oder den Versuch, sich als Opfer zu präsentieren. Die Zeugin reflektiere hier ihre Erfahrungen, sie äußere Gefühle, Zweifel und Zwischentöne. Die Angaben seien stimmig und konsistent zum Belastungskern und zu ihren anderen Aussagen.

Dennoch hält es der Verteidiger für möglich, dass die Aufzeichnungen der Enkelin durch Autosuggestion entstanden sein könnten. Schwenn beklagt die Unsitte in den Schulen, Unterricht über Missbrauch zu halten. Aufgrund der allgemeinen Stimmung könnte bei der jungen Frau ein autosuggestiver Prozess in Gang gekommen sein.


Verteidiger watscht Ärzte ab

Hoch her geht es, bevor die Tochter des Angeklagten vernommen wird. Dass die 48-Jährige vorige Woche zum zweiten Termin nicht erschienen ist, nimmt der Verteidiger zum Anlass, der Hauptbelastungszeugin erneut Schauspielerei vorzuwerfen. Er watscht auch gleich ihre Klinikärzte und den Bamberger Landgerichtsarzt ab. Sie seien auf das Theater der Zeugin reingefallen und hätten ihr attestiert, nicht vernehmungsfähig zu sein. "Alles unprofessioneller Mist", schimpft er.

Anders als vor der Strafkammer sei die Frau am Freitag zum Unterhaltsprozess im Rahmen der Scheidungsverfahrens erschienen. Dort sei sie nach Aussage des gegnerischen Anwalts "quietschfidel" aufgetreten und habe problemlos die fast fünfstündige Verhandlung am Amtsgericht Kulmbach durchgestanden. "Dazu war sie in der Lage."


"Blumige Ausführungen" entkräftet

Rechtsanwalt Frank K. Peter aus Worms verteidigt seine Mandantin. Die Aussage im Strafverfahren müsse man anders bewerten: Die Zeugin werde hier an die "Untaten des Angeklagten" erinnert und dadurch psychisch stark belastet, so der Nebenkläger-Vertreter. "Die blumigen Ausführungen" Schwenns seien durch die ärztlichen Atteste entkräftet worden. "Aber alles, was ihm nicht passt, ist unprofessionell. Nur der Verteidiger ist professionell."

Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.