Missbrauchsprozess in Bayreuth: Verschwörung eines Frauenclans?
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Dienstag, 27. Oktober 2015
Der Angeklagte bekommt für zwei Vergewaltigungsvorwürfe Alibis. Und Verteidiger Johann Schwenn geht davon aus, dass der dringende Tatverdacht immer weiter schwindet.
Den bissigen Herrn Schwenn erlebt das Publikum im Missbrauchsprozess am Landgericht Bayreuth am Dienstag nur einmal: als er ganz am Ende eines langen Verhandlungstags Öffentlichkeit und Presse ausschließen lassen will. Der Grund dafür: Die neue Frau des 71-jährigen Angeklagten soll völlig überraschend als Zeugin vernommen werden.
Der Ausschluss, so Staranwalt Johann Schwenn, der auch TV-Wettermoderator Jörg Kachelmann in dessen Vergewaltigungsverfahren verteidigt hat, soll nur für Fragen gelten, die den persönlichen Lebensbereich des Mandanten betreffen. "Der Angeklagte muss wirksam geschützt werden." Details aus seinem Privatleben dürften nicht in der örtlichen Presse zu lesen sein. "Wenn ich Verteidiger bin, findet das nicht statt", erklärt Schwenn und schiebt einen Hinweis nach, dass mit ihm nicht zu spaßen ist: Er habe gegen ein regionales Internetportal wegen dessen Berichterstattung bereits Strafantrag gestellt.
Kammer lässt Schwenn abblitzen
Die als sehr pressefreundlich bekannte 1. Große Strafkammer weicht trotzdem nicht von ihrer Linie ab. Zuhörer und Journalisten dürfen im Saal bleiben. Aber Vorsitzender Richter Michael Eckstein weist darauf hin, dass gar keine Fragen geplant sind, die den Intimbereich des Angeklagten betreffen. Herr Schwenn kann sich entspannt zurücklehnen und wieder auf den Freundlicher-Anwalt-Modus umschalten, der an diesem Tag angesagt ist. Der Verteidiger, dem es mehrfach gelungen ist, Fehlurteile deutscher Gerichte in Vergewaltigungsprozessen aufzudecken und Wiederaufnahmeverfahren durchzusetzen, macht einen gelassenen Eindruck. Mal fragt er bei einer Zeugin ausgesprochen höflich nach, mal scheint er belustigt: Offenbar passen ihm die Aussagen genau in seine Theorie, dass sein Mandant Opfer eines Komplotts geworden sei.
Verschwörung eines Frauenclans?
Für den Angeklagten geht es in dem Verfahren um sehr viel: Er muss sich wegen sexuellen Missbrauchs und mehrfacher Vergewaltigung verantworten. Er soll sich an seiner Tochter - seit deren 13. Lebensjahr und bis vor einigen Jahren - sowie an seiner Ex-Frau und seinen beiden Enkelinnen vergangen haben. Dahinter vermutet die Verteidigung die - finanziell motivierte - Verschwörung eines Frauenclans und der Opferschutzorganisation Weißer Ring gegen den Patriarchen der Familie.Nun also wird nach über einem Monat Prozessdauer die 49-jährige Ehefrau - verheiratet seit knapp einem Jahr - aus dem Hut gezaubert. Die in China geborene Unternehmensberaterin hat den Angeklagten 2007 kennengelernt, ab 2010 ist man sich nähergekommen. Von da an habe es fast wöchentlich Treffen gegeben, so die Zeugin, die das Gericht mit ihrem Detailwissen überrascht. Die über 1000 Seiten starke Ermittlungsakte kennt sie in- und auswendig. Sie und ein Mitarbeiter ihres Mannes haben recherchiert und ermittelt wie die Kripo.
Kritik an Polizei
Dies dürfe dem Angeklagten nicht zum Nachteil ausgelegt werden, meint der Verteidiger. Denn es sei rechtmäßig, den Mandanten mit einer vollständigen Aktenkopie auszustatten. Dass er sie seiner Frau gezeigt hat, sei im Nachhinein ein Segen. "Ich kann nur den Hut ziehen, dass sie beim Ermitteln die Nacht zum Tage gemacht hat", sagt Schwenn. Sie habe entlastende Erkenntnisse geliefert, "die die Polizei auch hätte finden können, wenn sie ein bisschen ergebnisoffener ermittelt hätte".Es geht um zwei angebliche Taten: am 2./3. Dezember 2010 und am 9. Mai 2011. Sie habe versucht, so die Zeugin, alle "Stichtage" zu rekonstruieren. Sie habe jedes Datum überprüft, das von der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit einem der zahlreichen Anklagepunkte genannt worden ist.
Für den Dezember 2010 gibt sie selbst ihrem Mann ein Alibi: Sie hätten beide Tage gemeinsam in einem Hotel verbracht. Am Abend des 3. Dezember sei er dann zu seinen "Jungs" vom Tennisverein gefahren, die sich zum Würfelspiel getroffen haben. So hat es ebenfalls ein anderer Zeuge berichtet.
Auch den Aufenthaltsort des mutmaßlichen Opfers hat die Zeugin ermittelt. Die Tochter des Angeklagten habe laut Meldezettel mit ihrem Mann und weiteren Umzugshelfern in einem Gasthof übernachtet und dort in der Nähe getankt. Von den genannten Handwerkern bestätigen zwei die Angaben, der Lkw-Fahrer kann sich an die Anwesenheit der Tochter nicht erinnern.
Zeugin: Falschaussage
Im Hinblick auf den Mai 2011 findet die Frau heraus, dass ihr Mann von seinem Wirtschaftsprüfer entlastet werden könne. Am fraglichen Abend habe nämlich ein Essen beim Italiener stattgefunden. Teilnehmer: der Wirtschaftsprüfer und seine Frau sowie der Angeklagte und seine Tochter. Alles richtig, sagen der Wirtschaftsprüfer und dessen Frau. Der Vergewaltigungsvorwurf basiert nach Überzeugung der Zeugin auf einer Falschaussage. Die Tochter und die Ex-Freundin ihres Mannes hätten sich abgesprochen. Der Verteidiger geht davon aus, dass der dringende Tatverdacht gegen seinen Mandanten immer weiter schwindet. Überdies stützt der Wirtschaftsprüfer die Komplott-Theorie. Die Tochter sei als Alleinerbin vorgesehen gewesen und habe - aus steuerlichen Gründen - vom Vater bereits Anteile verschiedener Firmen geschenkt bekommen.