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Missbrauchsprozess in Bayreuth: Staranwalt als Abteilung Attacke


Autor: Stephan Tiroch

Kulmbach, Freitag, 30. Oktober 2015

Verteidiger Johann Schwenn aus Hamburg setzt vor allem auf Angriff als beste Form der Verteidigung. Dabei inszeniert er sich auch ein bisschen selbst.
Verteidiger Johann Schwenn glaubt, dass im Bayreuther Missbrauchsprozess der dringende Tatverdacht gegen den 71-jährigen Angeklagten immer weiter schwindet.  Foto: Peter Endig / dpa


Er ist Verteidiger, er verteidigt im Strafprozess den Angeklagten. Aber Defensive ist nicht sein Ding. Johann Schwenn (68) hält gern die Fäden in der Hand. Der Staranwalt aus Hamburg, der von Jörg Kachelmann bis Gregor Gysi und Jan Ulrich viele Prominente vertreten hat, versteht sich vor allem als Angreifer.


Maßanzug und rote Socken

Der Mann, der im Gerichtssaal zum Maßanzug auffallende rote Socken trägt, setzt auch im Missbrauchsprozess am Landgericht Bayreuth (derzeit Verhandlungspause bis 10. November) auf Angriff als beste Form der Verteidigung. Dabei inszeniert er sich auch ein bisschen selbst.

Überhaupt nicht hanseatisch distanziert, attackiert er jeden, von dem er meint, dass er seinem Mandanten ans Leder will. Dabei neigt er mitunter zu Überheblichkeit, was nichts daran ändert, dass er als einer der Besten seines Faches gilt.
Immerhin ist es ihm gelungen, Fehlurteile deutscher Gerichte in Vergewaltigungsprozessen zu korrigieren und Wiederaufnahmeverfahren durchzusetzen. Was natürlich nicht bedeutet, dass jeder unschuldig wäre, den er verteidigt.


Eine Drohung

Zunächst knöpft sich "Angreifer" Schwenn im Bayreuther Prozess d i e Medien vor, denen er die öffentliche Vorverurteilung des Angeklagten vorwirft. Leider ein Pauschalurteil von einem, der sonst die Differenzierung auf die Spitze treibt. Verliebt in jede Silbe, legt er Worte auf die Goldwaage und misst selbst dem Tonfall eines Zeugen Bedeutung bei. Sein Hinweis, dass er jedem - wie bei einem regionalen Internetportal schon geschehen - einen Prozess an den Hals hängt, der sich nicht an die Regeln seriöser Berichterstattung hält, ist unmissverständlich: Es ist eine Drohung. Mit einem, der die mächtige Bild-Zeitung in Kachelmanns Schadenersatzprozess in die Knie gezwungen hat, ist nicht zu spaßen.


Nicht ergebnisoffen ermittelt?

Dann der Staatsanwalt und die Polizei: Letztere habe, so Schwenn, nicht ergebnisoffen ermittelt, sei gar nicht interessiert gewesen, entlastende Erkenntnisse zu finden. Den Staatsanwalt schurigelt er und knurrt wie ein Wachhund, wenn er glaubt, sein Mandant werde unfair behandelt. Beim Anklagevertreter vermisst Schwenn den Willen zur Objektivität, dieser wolle "auf Biegen und Brechen" das gewünschte Ergebnis erreichen.

Auf Kriegsfuß steht der Rechtsanwalt mit der Opferhilfeorganisation Weißer Ring. Deren Mitarbeiter hätten sich nicht darauf beschränkt, Beistand zu leisten, sondern aktiv in das Verfahren eingegriffen und Zeuginnen beeinflusst, motzt er.


Tränen-lügen-nicht-Taktik?

Aus Schwenns Sicht gibt es nur noch eine Steigerung: die Zeuginnen, die den Angeklagten schwer belasten. Die nimmt er hart ran. Er will deren Glaubwürdigkeit erschüttern und deren Tränen-lügen-nicht-Taktik entlarven.

Denn er betrachtet Tochter (Hauptbelastungszeugin), Enkelinnen und Ex-Frau als einen Clan, der sich aus Geldgier gegen den Familienpatriarchen verschworen hat. So holt der Verteidiger schon mal ein verstaubtes Uralt-Betrugsurteil gegen eine Nebenklägerin aus dem Keller. Oder er mutmaßt, dass die Übelkeit der Tochter vorgetäuscht sei, so dass ihr das Gericht eine Beobachterin aufs Klo hinterherschickt. Oder er gießt seinen Spott über die 19-jährige Enkelin aus, die das Bild vom Sex-Opa zeichnet. Genüsslich breitet er deren Vorliebe für teure Luxustaschen aus und bemerkt zu ihrem Wunsch, sich in Therapie zu begeben: "Geht es Ihnen schlecht, können Sie nicht schlafen, nehmen Sie Medikamente? Oder müssen Sie einfach mal Pause machen beim Taschenkaufen?" Ganz Abteilung Attacke.


Es geht auch freundlich

Schwenn kann aber auch anders: freundlich, nachsichtig, höflich. So tritt er auf, wenn ihm Zeugen und ihre Aussagen in seine Strategie passen.

Selbst wenn Bayreuth aus Sicht eines Hamburger Staranwalts Provinz sein mag, hat es Schwenn bisher - anders als im Mannheimer Kachelmann-Prozess - tunlich vermieden, sich mit dem Gericht anzulegen. Er weiß, dass der von der Vereidigung angestrebte Freispruch keinesfalls ein Selbstläufer wird. Um Punkte zu sammeln, spricht er die beiden Schöffen gezielt an. Denn die Richter ohne Robe sind gemeinsam mit den drei Berufsrichtern gleichberechtigt an der Urteilsfindung beteiligt.

Vorsitzender Richter Michael Eckstein und die Strafkammer lassen es sich jedoch nicht anmerken, dass man es mit einem renommierten und gefürchteten Strafverteidiger zu tun hat. So blitzt der Staranwalt vom Elbufer mit seinem Antrag, bei der Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten die Öffentlichkeit und die Presse auszuschließen, beim Gericht glatt ab.


Ende offen

Im Gerichtssaal strahlt Schwenn Zuversicht aus. Besonders, als für zwei Tatvorwürfe Alibizeugen aussagen. Er glaubt, dass der dringende Tatverdacht gegen den 71-jährigen Angeklagten immer weiter schwindet. Aber der Bayreuther Prozesses ist noch nicht aus und das Ende offen.



Der Prozess

Beginn Die 1. Große Strafkammer des Landgerichts Bayreuth verhandelt seit 22. September.

Verfahren Der 71-jährige Angeklagte wird beschuldigt, seine Tochter (48) mehrfach vergewaltigt und missbraucht zu haben sowie sich auch an seiner Ex-Frau und zwei Enkelinnen vergangen zu haben. Er macht von seinem Recht zu schweigen Gebrauch. Von den mutmaßlichen Opfern wird er schwer belastet. Da es kein Geständnis gibt, muss das Gericht eine detaillierte Beweisaufnahme durchführen. Besonderer Wert ist bei solchen Vier-Augen-Taten auf die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen zu legen.

Fortsetzung Aktuell gibt es eine Gerichtspause; nächster Termin ist am 10. November.

Urteil Mit dem Richterspruch ist im Dezember zu rechnen.