Missbrauchsprozess in Bayreuth: ein herzensguter Mensch?
Autor: Stephan-Herbert Fuchs
Bayreuth, Mittwoch, 19. Juni 2013
Widersprüche und Ungereimtheiten gab es am dritten Verhandlungstag des Missbrauchsprozesses am Landgericht Bayreuth: Die Schwester des Opfers nahm den Vater in Schutz, eine Zeugin berichtete hingegen von haarsträubenden Vorfällen.
Im Missbrauchsprozess vor dem Landgericht in Bayreuth haben sich am Mittwoch Be- und Entlastungszeugen die Klinke in die Hand gegeben. Während der 50-jährige Angeklagte am ersten Verhandlungstag die Vorwürfe als Lügen zurückgewiesen hatte, belastete ihn das Opfer am zweiten Verhandlungstag schwer. Am gestrigen dritten Tag wurden zum einen wieder schwere Vorwürfe gegen den Mann laut, es traten aber auch Zeugen auf, die offen sagten, dass sie davon gar nichts halten. Der Mann soll zwischen 1990 und 1998 in insgesamt 138 Fällen seine 1984 geborene Tochter missbraucht haben.
Aus einer zweiten Ehe hat der Mann eine weitere Tochter. Die junge Frau ist heute 24 Jahre alt und als Industriekauffrau in Oberbayern tätig.
"Bei mir war nichts", sagte die Frau, die über Jahre hinweg jedes Wochenende sowie die kompletten Schulferien bei ihrem Vater verbracht und damit viel mehr Kontakt als die andere Tochter, ihre Halbschwester und gleichzeitig das vermeintliche Opfer, zu dem Mann hatte. "Papa ist doch ein herzensguter Mensch, ich kann mit das alles nicht vorstellen", sagte die Zeugin unter Tränen.
Zu ihrer Halbschwester hat die Frau keinen richtigen Kontakt. Sie habe es mehrfach versucht, aber es sei keine bleibende Beziehung entstanden. Nicht verstehen könne sie es, dass ihre Halbschwester mit ihren kleinen Kindern wieder beim Vater eingezogen ist, wenn es doch Jahre vorher zu derart schlimmen Vorfällen gekommen sein soll.
"Korrekt gegenüber Kindern"
Auch eine Bekannte und frühere Nachbarin des Angeklagten nutzte ihre Aussage, um ihr Unverständnis wegen der Vorwürfe zu äußern. Der Angeklagte habe sich immer absolut korrekt gegenüber Kindern verhalten. "So etwas würde er nie tun", sagte die Frau im Brustton der Überzeugung. Auch habe sie oft Vater und Tochter zusammen gesehen. Es sei ein absolut offenes und herzliches Verhältnis gewesen. "Wie kann das denn sein, wenn er sie missbraucht haben soll?", fragte die Frau.
Einen starken Fürsprecher fand der 2010 zum Judentum konvertierte Angeklagte auch im Hofer Rabbiner David Goldberg. Er sei überzeugt davon, dass die Tochter einzig und allein aus Rache handle. Die junge Frau habe die Gutmütigkeit ihres Vaters nur ausgenutzt und ihn ausgelacht, als er zum jüdischen Glauben übergetreten sei. Dabei sei der Angeklagte der hilfsbereiteste Mensch, den man sich überhaupt vorstellen könne.
Dem gegenüber stand die Aussage einer Freundin des Opfers. Deren Sohn soll der Angeklagte auch angefasst haben. Warum die Sache damals nicht weiter verfolgt wurde, ist bislang nicht zur Sprache gekommen. Die Freundin wusste auch noch andere haarsträubende Dinge zu berichten. Ständig habe es sexuelle Anspielungen des Vaters in Bezug auf die Tochter gegeben, auch wenn sie, die Freundin, dabei war. "Das war irgendwie absolut komisch", wunderte sich die Frau noch heute. "Auch mich hat er angetatscht", sagte die Frau. Sie habe sich allerdings schon zu wehren gewusst.
Zu einer Überraschung kam es auch bei der Aussage der ersten Ehefrau des Angeklagten und Mutter des Opfers. Bei ihr ist ein Tagebuch aufgetaucht, in dem die Ex-Gattin sämtliche Besuche ihrer Tochter bei deren Vater mit Datum und Uhrzeit notiert hatte. Zwischen 1992 und 1999 sind exakt 33 Aufenthalte verzeichnet und damit deutlich weniger als die Tochter aufgeführt hatte. Wie die Staatsanwaltschaft auf 138 Missbrauchsfälle kommt, ist damit kaum mehr nachzuvollziehen.
"Seltsamer Eindruck"
Einen Irrtum schloss die Zeugin aus, gleichwohl räumte sie ein, dass ihre Tochter manchmal "einen seltsamen Eindruck" gemacht habe, wenn sie vom Vater wieder zurückkam.
Nicht erschienen waren die dritte Ehefrau des Angeklagten und der geschiedene Ehemann der Tochter. Gegen beide beantragte die Staatsanwaltschaft ein Ordnungsgeld.