Missbrauchsprozess Bayreuth: Zeuginnen waren beim Psychiater
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Dienstag, 29. Dezember 2015
Im Verfahren vor der 1. Großen Strafkammer mussten sich die Tochter und eine Enkelin des Angeklagten untersuchen lassen. Das Ergebnis dürfte der Verteidigung nicht ins Konzept passen.
Das ist mal ein Tag nach dem Geschmack der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage. Denn das, was der Gutachter Thomas Wenske aus Erlangen, stellvertretender Chefarzt der Klinik für Forensische Psychiatrie, am Dienstag im Bayreuther Missbrauchsprozess zu sagen hat, dürfte nicht in die Strategie der Verteidigung passen.
Termine bis April
In dem seit September andauernden Mammutverfahren vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Bayreuth - weitere 15 Verhandlungstage sind bis April bereits terminiert - geht es um Vergewaltigung und sexuellen Missbrauch. Der 71-jährige Angeklagte wird von seiner Tochter, zwei Enkelinnen und seiner Ex-Frau schwerer Sexualstraftaten bezichtigt. Was es für das Gericht besonders schwierig macht: Man hat es mit Vier-Augen-Delikten zu tun, weitere Zeugen gibt es nicht. Der Angeklagte schweigt zu den Vorwürfen. Dafür lässt Verteidiger Johann Schwenn nichts unversucht, die Glaubwürdigkeit der Belastungszeuginnen zu erschüttern. Der Rechtsanwalt aus Hamburg dreht den Spieß um und vermutet hinter den Anzeigen gegen den steinreichen Patriarchen der Familie eine Verschwörung des genannten Frauenclans.
Dass die zwei Hauptbelastungszeuginnen jetzt vom Psychiater untersucht worden sind, hat die Kammer auf Schwenns Antrag veranlasst. Er zweifelt die bei der Tochter (48) diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung an und hält es für möglich, dass die Enkelin (25) an einem Borderline-Syndrom leidet.
Beide Annahmen der Verteidigung bestätigt der Gutachter nicht. Er hat die zwei Frauen dahingehend untersucht, ob frühere oder aktuelle psychische Erkrankungen ihre Zeugentüchtigkeit beeinflussen. "Viele Worte - kurzes Ergebnis", sagt Wenske und erklärt, dass bei Mutter und Tochter die Wahrnehmung und Wiedergabe von Informationen nicht beeinträchtigt sei.
Offen und auskunftsbereit
Beide Frauen sind nach seinen Worten bei der Exploration sehr offen und auskunftsbereit gewesen. Die 48-Jährige habe sich ihm in ausgeglichener Stimmungslage präsentiert und detailreich berichtet. Keine Spur von Wahnvorstellungen, Halluzinationen oder einer schizophrenen Psychose. Allerdings hält der Psychiater die Abschlussdiagnose der Ärzte nach dem dreimonatigen stationären Klinikaufenthalt der Zeugin für aussagekräftig. Dort seien typische Symptome für eine posttraumatische Belastungsstörung festgehalten worden. Weil man in der Klinik die Patientin für den Gerichtsprozess stabilisiert und mit ihr trainiert hat, über die Vorfälle sprechen zu können, sei für ihn nichts Auffälliges erkennbar gewesen.
Einen ebenfalls unauffälligen psycho-pathologischen Befund präsentiert der Gutachter dem Gericht für die 25-jährige Enkelin. Im Gespräch habe die junge Frau ausgeglichen gewirkt, einen stabilen und selbstbewussten Eindruck gemacht und "oft mal herzlich gelacht". Abnorme Verhaltensmuster für eine Borderline-Störung habe er nicht gefunden. Auch die Tatsache, dass sie sich als Jugendliche mit Scherben am Oberarm selbst verletzt hat, sei kein diagnostisches Leitsymptom. "Man kann bei Borderlinern Selbstverletzungen finden, aber von Selbstverletzungen kann man nicht zwingend auf eine Borderline-Störung schließen."
Thema Glaubwürdigkeit
Das Gutachten haben Staatsanwalt Daniel Götz sowie die Opferanwälte Frank K. Peter, Worms, und Wolfram Schädler, Wiesbaden, sicherlich gerne gehört. Wobei damit noch nicht geklärt ist, ob die Zeuginnen die Wahrheit gesagt oder vielleicht gelogen haben. Das Glaubwürdigkeitsgutachten von Diplom-Psychologin Gabriele Drexler-Meyer aus Nürnberg, die das Verfahren ständig beobachtet, steht noch aus.Der Prozess wird erst am 13. Januar fortgesetzt.
Borderline-Syndrom
Definition Beim Borderline-Syndrom handelt es sich um eine Persönlichkeitsstörung, die sich durch instabile soziale Beziehungen auszeichnet. Betroffene leiden unter innerer Anspannung und erleben sich als Opfer ihrer eigenen heftigen Stimmungs- und Gefühlsschwankungen, was zu extremer innerer Anspannung führen kann. Menschen, bei denen dieses schwerwiegende psychiatrische Krankheitsbild auftritt, fühlen sich innerlich zerrissen, haben ein gestörtes Selbstbild und eine gestörte Körperwahrnehmung. Sie leiden unter massiven Ängsten vor dem Alleinsein. Viele setzen selbstschädigende Verhaltensweisen ein.Quelle: www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org