Michael Kraus auf den Schwingen des Adlers
Autor: Hannah Hemel
Ludwigschorgast, Donnerstag, 18. Sept. 2014
Der Ludwigschorgaster Extremsportler Michael Kraus bestand die alpine Herausforderung des Karwendellaufs. Dabei wird das Karwendelgebirge "auf den Schwingen des Adlers", dem Adlerweg, auf einer Länge von 52 Kilometern durchquert. Insgesamt 2281 Höhenmeter im Anstieg sind zu bewältigen.
Ludwischorgast — In den 70er- und 80er-Jahren wurde die Veranstaltung noch als Marsch durchgeführt und fiel dann ab 1990 in einen 19-jährigen Dornröschenschlaf. Seit der Neuauflage im Jahre 2009 stieg die Teilnehmerzahl dieser einst so beliebten Veranstaltung rasant an, denn der Karwendelmarsch wurde um einen Karwendellauf ergänzt. Rund 2000 Teilnehmer, davon knapp 600 Läufer, machen den Karwendelmarsch/Karwendellauf zur größten alpinen Langstrecken-Bergveranstaltung in Österreich und Deutschland.
Michael Kraus berichtet von diesem besonderen Erlebnislauf über matschige und rutschige Bergpfade, gefährlichen Bergab-Läufen bei zum Teil strömendem Regen und auch von Stürzen, die noch glimpflich abliefen:
"Wer in den Bergen unterwegs sein will, muss früh raus. Deshalb ist es für den Bergfex kein Problem, schon um sechs Uhr morgens an der Startlinie zu stehen. Im beschaulichen Dörflein Scharnitz auf 964 Metern über Meereshöhe herrscht zu nachtschlafender Zeit schon riesiger Trubel. Düstere Wolken und Nieselregen tun der guten Stimmung unter den Teilnehmern keinen Abbruch - typisches Karwendelwetter, witzeln die Sportler. Pünktlich um 6 Uhr gibt ein donnernder Kanonenböller das Startzeichen. Mächtiges Getrappel, die Meute setzt sich in Bewegung.
Bald verlassen wir den nassglänzenden Asphalt, überqueren einen laut rauschenden Wildbach: die Isar. Jetzt können schon die bergläuferischen Fähigkeiten getestet werden. Aber nur kurz, quasi zum Aufwärmen. Ein steil ansteigender Forstweg führt hinauf ins Karwendeltal. Das Bergpanorama lässt sich nur erahnen: dicke Wolkenbänke mit ihrer feuchten Last umwabern die Gipfel. Der erste Verpflegungspunkt "Schafstallboden" (1173 Meter) wird nach 9,5 Kilometern passiert. Von freundlichen Helfern werden wir hier empfangen, die uns schon von weitem zurufen, was es Leckeres an Verpflegung gibt: warmen Kräutertee, Hollundersaft, Bio-Käsebrote, Wurstbrote und vieles mehr.
Ein kurzes Päuslein, dann geht's weiter und es läuft gut. ,Gemach' sage ich mir, es ist nur der Vorgeschmack auf größere Herausforderungen.
Im Gleichschritt mit Daniel
Nach etwa 15 Kilometern nimmt das schier endlose Tal sein Ende. Es wird steiler. Hier treffe ich auf Daniel, einen etwa 30-jährigen Österreicher. Wir haben beide den gleichen Schritt drauf und kommen ins Gespräch. Es wird kurzweilig. Weiterhin auf gutem Weg, dem Via Alpina (Fernwanderweg), schrauben wir uns serpentinenartig in die Höhe zum zweiten Verpflegungspunkt am Karwendelhaus (1771 Meter), Kilometerpunkt 18,2. Frisch ist es hier oben. Wer möchte, bekommt sogar eine warme Gemüsesuppe.
Jetzt geht's richtig hinein in die Wolkensuppe. Nachdem die erste Spitze überwunden ist, geben viele Vollgas. Auf steinigen Wegen geht es hinunter, vorbei am höchsten Gipfel des Karwendels, der 2 749 Meter hohen Birkkarspitze, dessen Gipfelblick uns nicht vergönnt war.
Sturzfrei nach 24 Kilometern am Kleinen Ahornboden (1399 Meter) angekommen, gilt es die Energiereserven wieder aufzufüllen. Zunächst folgt ein geschotterter Weg durch den Wald steil bergauf, der später zu einem noch steileren Pfad über Almwiesen hinauf zur Falkenhütte (1848 Meter), die wie aus dem Nichts nach 30 Kilometern auftaucht, führt.
Ein Bergab-Härtetest
Jetzt ist Schluss mit lustig. Die nächsten Kilometer bis zur Alm Eng (1227 Meter) sind ein echter Bergab-Härtetest. Es geht über Fels und Wurzeln steil bergab, immer ausgesetzt. Jeder Schritt muss bedacht gesetzt werden. Je tiefer es geht, desto mehr wird der Pfad zum Bachbett. Man weiß gar nicht mehr, wo man hintreten soll, ohne im Sumpf zu versinken. Kurz vor der Alm Eng, bei Kilometer 35,9, zog es auch mir die Füße weg. Glück gehabt, weich gelandet.
Für viele war hier Endstation. Die Kräfte reichten nicht mehr für den letzten Anstieg hinauf zum höchsten Punkt bei Kilometer 41 über den Binssattel (1903 Meter). Die letzte Welle tut weh. Die Oberschenkel brennen. Unwegsam, schmal und nass gestalten sich mitunter die nächsten fünf Kilometer, wobei 700 Höhenmeter erklommen werden müssen. Geschafft! Auch die nächsten Kilometer bergab gestalten sich schwierig. Der sprichwörtliche Vergleich zwischen Pest und Cholera kommt mir in den Sinn. Tritt man auf das Gras, sackt man mit jedem Schritt in kaltes Wasser, bleibt man auf dem Trail, rutscht man unaufhaltsam mit der Matschlawinie.
Nur ein blutendes Knie
Ich bin sehr froh, den Tal-Grund nach inzwischen zurückgelegten 44,5 Kilometern erreicht zu haben - zum Glück nur mit einem blutenden Knie.
Die letzten acht Kilometer vergehen wie im Flug. Vollgepackt mit tollen Eindrücken erreiche ich nach 52 Kilometern in 5:40:23 Stunden das Ziel in Pertisau (952 Meter). Die Legende lebt - und ich auch!"
Der Vollständigkeit halber die sportlichen Leistungen. Sehr gut hielt sich der aus dem vergleichsweise flachen Oberfranken kommende Michael Kraus unter den Bergsportlern aus den Alpenregionen. Im Gesamteinlauf belegte der 53-jährige Ludwigschorgaster den achtbaren 60. Platz und in der Altersklasse M 50 den 4. Rang. Michael Kraus lag nach der Zwischenzeit bei Kilometerpunkt 35 noch an achter Position in seiner Altersklasse.
Gesamtsieger wurden die Österreicher Thomas Bosnjak in 4:19:05 Stunden und bei den Frauen Henriette Holzknecht in 5:20:02 Stunden.