Druckartikel: Mehr als nur die Grundsicherung

Mehr als nur die Grundsicherung


Autor: Jochen Nützel

Kulmbach, Dienstag, 26. Februar 2019

Der Vorstoß von SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil schlägt Wellen. Kritiker monieren: zu teuer und an der Bedarfsgruppe vorbei.
Arm im Alter trotz jahrzehntelanger Arbeit? In Zukunft wohl leider kein Einzelfall.


Nennen wir sie Heidrun S. Der Name tut nichts zur Sache - wohl aber das, was die 68-Jährige aus dem Kreis Kulmbach als Rente zum Lebensabend bekommt. Und das ist durchaus kärglich zu nennen: 643 Euro "hoch" sind ihre monatlichen Bezüge. Wie das? Frau S. hat 29 Jahre als Altenpflegerin gearbeitet - in Vollzeit, aber zu einem niedrigen Gehalt (Mindestlohn gab es für sie nicht). Da sie vor 1992 zwei Kinder geboren hat, werden ihr fünf weitere Beitragsjahre angerechnet (und mit der Mütterrente II kommt Geld für Erziehungsleistung dazu). Zudem pflegte sie etwa 18 Monate lang ihre Mutter bis zu deren Tod.

Heidruns Ehemann Willi (69) hat ebenfalls als Altenpfleger gearbeitet, wurde dann aber arbeitslos und blieb es mehrere Jahre - bis zum Renteneintritt. Er kommt auf insgesamt 34 Beitragsjahre und somit ebenfalls auf 643 Euro. Das ist das Ergebnis von je 0,6 Entgeltpunkten pro Versicherungsjahr, multipliziert mit dem aktuellen Wert (Westdeutschland) von 32,02 Euro pro Rentenpunkt. Damit liegt das Paar, das trotz beruflicher Klippen über Jahrzehnte in die Rentenkasse einbezahlt hat, nur knapp über dem Niveau der Grundsicherung im Alter.

Zum Vergleich: Im Fall von Herrn und Frau S. wären das 1244 Euro im Monat (400 Euro Kaltmiete plus 80 Euro Heizkosten, dazu pro Person der Regelsatz von 382 Euro). Heidrun S. und ihr Mann kommen mit ihren Renten auf 1306 Euro. Davon müssen sie allein für Wohnen und Heizen fast 500 Euro abziehen - das freilich zahlt ihnen kein Amt!

Für Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ein unhaltbarer Zustand. Weswegen er seinen Grundrentenvorstoß mit dem Vermerk "Respekt" versehen hat und eine sogenannte Bedürftigkeitsprüfung ausschließt. Zitat: "Die Grundrente setzt die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele ,Lebensleistung anerkennen' und ,Altersarmut vermeiden' um."

Der Plan sieht vor, dass all jene Arbeitnehmer, die 35 Jahre lang Beiträge gezahlt haben und trotzdem nur eine Rente auf Höhe der Grundsicherung (Hartz IV) erhalten, bis zu 447 Euro mehr im Monat bekommen sollen. Kosten für den Steuerzahler: rund fünf Milliarden Euro pro Jahr. Laut Heil profitierten davon bis zu vier Millionen Menschen. Heidrun und Willi S. gehören nicht dazu. Warum? Ganz einfach: Ihnen fehlen Beitragsjahre; beide verfehlen die magische Grenze von 35.

Kritik der Handwerkskammer

Anders bei Friseurin Inge K. Würde sie 40 Jahre lang zum Mindestlohn arbeiten - dann dürfte sie sich auf eine Monatsrente von 514 Euro "freuen". Sie profitierte deutlich von Heils "Respektrente", würde die vollen 447 Euro ausschöpfen und läge damit beinahe doppelt so hoch wie ohne. Und was ist mit Selbstständigen? Oder mit Handwerkern? Deren Standesvertretung kritisiert die Politik. "In der GroKo dominieren Vorschläge, die nur zu zusätzlichen Belastungen für Steuer- und Beitragszahler und damit auch für das Handwerk führen", sagt Thomas Koller, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Oberfranken in Bayreuth. Die milliardenschweren Mehrkosten unter anderem durch die Beibehaltung des Solidaritätszuschlags zu finanzieren, sei genau das Gegenteil zu den Forderungen des Handwerks. "Wir verlangen die Abschaffung des Soli."

Dazu komme, dass im Rentenpaket weitere teure Maßnahmen angekündigt seien. "Die gleichzeitig möglichen Entlastungen bei der Steuer bleiben weit hinter dem zurück, was sinnvoll und fair wäre. Daher bleiben wir vom Handwerk dabei: Wir brauchen auf der einen Seite eine umfassende, mittelstandsfreundliche Unternehmenssteuerreform, auf der anderen Seite die politische Weitsicht, dass Reformen im Sozialversicherungssystem nicht zulasten der Beitragszahler und kleinen/mittleren Unternehmen gehen dürfen. Dass deren Betriebsinhaber, gerade im Handwerk, in der Regel nicht superreich sind, dürfte sich herumgesprochen haben."

Alexander Wunderlich hingegen begrüßt die Debatte. Der VdK-Kreisgeschäftsführer bekundet zwar, "dass noch an einigen Ecken gefeilt werden muss", ist aber sicher: In Sachen Altersversorgung müsse dringend was passieren. Es gebe viele, die etwa in der Gastronomie zu Niedriglöhnen gearbeitet hätten; für die sei Altersarmut programmiert.

Das sieht übrigens auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten so. Die Grundrente würde in Bayern die Bezüge von 337000 Rentnern aufbessern. Sie bekämen derzeit eine Rente von weniger als 896 Euro pro Monat. Nach Zahlen der Deutschen Rentenversicherung bezogen Ende 2017 in Bayern 630000 Menschen eine Rente von weniger als 600 Euro - der Frauenanteil lag bei 76 Prozent.

Seitens der Rentenversicherung in Bayreuth heißt es: "Bei der Aufstockung niedriger Renten handelt es sich um eine Leistung, der ausdrücklich keine Beiträge gegenüberstehen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die vollumfänglich aus Steuermitteln zu finanzieren ist. Dies muss auf jeden Fall sichergestellt sein. Es kann nicht sein, dass die Finanzierung von den Beitragszahlern der Rentenversicherung übernommen wird."

Gerecht - oder am Ziel vorbei? Das sagen unsere Landtagsabgeordneten

Martin Schöffel (CSU): "Grundsätzlich werte ich eine Grundrente als sehr positiv. Wer lange gearbeitet hat, sollte im Alter unbedingt besser gestellt werden als jemand, der sein Leben lang Sozialleistungen bezogen hat.

Der Vorschlag von Bundesminister Heil schießt aber deutlich übers Ziel hinaus und würde die Falschen begünstigen. Von dieser Grundrente würden auch Menschen profitieren, die aus anderen Quellen als der eigenen Rente ihren Lebensunterhalt gut bestreiten. Ich denke dabei an Menschen mit Partnern mit sehr hohem Einkommen. Ihre Rente auf Staatskosten zu erhöhen, führt am Ziel vorbei. Die Grundrente nach Heil'schem Modell wäre also sehr teuer, eine Belastung insbesondere der jüngeren Generation und dabei nicht zielgenau." Rainer Ludwig (Freie Wähler):

"Wir werden die Grundrente intern beraten. Die Menschen, die ein Leben lang gearbeitet und auch in die Rentenkasse eingezahlt haben, werden dabei im Fokus stehen. Sie dürfen nicht auf soziale Leistungen angewiesen sein. Daher begrüße ich den Vorstoß von Arbeitsminister Hubertus Heil. Allerdings müssen die Rahmenbedingen stimmen. Leistungsprinzip und Gerechtigkeit sind wesentliche Elemente dazu, ebenso die Abwägung einer Bedürftigkeitsprüfung. Eine reine ,Aufstockung' wird nicht die grundsätzlichen Probleme lösen. Mütter und Väter müssen stärker von den Rentenzahlungen profitieren. Zudem müssen wir garantieren, dass nach 40 Jahren Beitragszahlungen Abschlagsfreiheit gilt. Wir setzen uns dafür ein, dass es zu keiner weiteren Absenkung der Rentenbeiträge kommt." Inge Aures (SPD):

"Ich begrüße den Vorschlag der SPD-Spitze ohne Wenn und Aber. Wenn jemand ein Leben lang arbeitet, muss er im Alter von seiner Rente leben können. Alles andere ist entwürdigend. Dass jetzt CDU und CSU versuchen, das Konzept von Hubertus Heil zu zerreden, war zu erwarten. Aber die Finanzierung der Grundrente ist realisierbar. Dabei geht es letzten Endes auch um Respekt. Es gibt Menschen, die arbeiten ein Leben lang und landen wegen geringer Entlohnung als Rentner in der Grundsicherung. Das kann nicht sein! Wenn jemand jahrzehntelang arbeitet, hat er ein Recht darauf, deutlich mehr Rente zu bekommen als jemand, der nie oder nur kurz gearbeitet hat. Auch der Koalitionsvertrag will die Verwirklichung einer Grundrente.

Ich höre immer wieder, dass man vor der Auszahlung der Grundrente erst die Bedürftigkeit der betroffenen Person feststellen müsse. Wenn es dann heißt, dass die Frau des Arztes oder des Rechtsanwalts die Rente nicht beziehen soll, dann frage ich mich: Was ist das für ein gesellschaftliches Bild, wenn man Frauen über ihre Männer definiert?"

Kommentar

Kein Scherz: Am Rande des Jakobswegs liegt ein Örtchen namens Rente. Genau auf jener Büßerstrecke also, auf der Tausende sich Frust und Sorgen von der Seele pilgern. Der Jakobsweg heißt auf Spanisch "Camino de Santiago". Rente und Camino - eine Assoziation bahnt sich da den Weg ins vom Laufen gut durchlüftete Oberstübchen: die Altersversorgung, die durch den Kamin rauscht. Dazu gesellt sich aktuell das Rauschen in den Parteizentralen sowie den Kommentarspalten der Hauptstadtjournaille. Die Rente ist sicher - also sicher ein Thema, um nicht wieder an blümelnde Ruhestandslandschaften zu gemahnen. Doch nun das: "Grundrente" - welch ein

Fanal, ein Fanfarenstoß aus Walhall! Wer hat's angeraten?

Sozialdemokraten. Bundesarbeitsjunker Hubertus suchte sein Heil in der "Respektrente". Und erntete? Vor allem Spott aus Wirtschaftskreisen. Denn, so gurrten es die Auguren und Ratingagenturen: zu teuer und aufgrund der Zielrichtung nicht dazu angetan, Altersarmut zu bekämpfen, dafür eine Belastung für die Jugend im Allgemeinen und den Aufschwung im Besonderen. Nö, mehr kam nicht aus den gepolsterten Sesseln des Instituts der Deutschen Wirtschaft, bloß ein geweihtes Pfui samt vergifteter Pfeilspitze, Politik möge sich doch bitte endlich auf die breite Masse konzentrieren und nicht ewig auf die wenigen, die so oft verfluchten "Ränder" der Gesellschaft. Die paar Prozent!

Die breite Masse ist per se nicht jene, die sich die Politik schönsäuft; sie ist nüchtern betrachtet von Altersarmut bedroht. Nicht sofort, erst 2030. Witzig. Durchatmen also? Von wegen durchatmen! Das ist meine Generation. Ich habe zwar Mathematik in der zwölften Klasse abgewählt (böse Zungen behaupten, es sei umgekehrt gewesen), aber selbst mit rudimentären Rechenkenntnissen befürchte ich, dass das mit der Altersarmut mehr trifft. Viel mehr.

Die Rente berechnet sich 2030 mit 43 Prozent vom letzten Nettogehalt. Jetzt kann jeder Leser überschlagen, ob er/sie davon wohnen kann oder sich doch besser aufs Essen konzentrieren sollte. 40 Prozent verdienen im Monat 2000 Euro brutto oder darunter. Genau das aber führt unweigerlich zu einer Rente nahe der Grundsicherung. Also sind doch 40 Prozent der Deutschen von Altersarmut bedroht, oder? Ist das noch eine Randerscheinung? Warum lassen mich Politik wie Wirtschaftselite in dem Glauben, es sei höchstens die Hälfte? Ich vermute: Die hantieren bei der Prozentrechnung mit VW-Taschenrechnern ohne Software-Update.