Mastenriesen quer durchs Kulmbacher Land?
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Donnerstag, 18. April 2013
Per Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) soll der an Nord- und Ostsee erzeugte Windstrom gen Süden gepumpt werden. Die Leitungen thronen auf 100 Meter hohen Trägern. Eine der Routen führt laut Plan durch die Fränkische Schweiz - und tangiert womöglich Thurnau.
Korridor D, 2 GW (GW für Gigawatt): Das Kürzel gehört zur schraffierten Linie in Lila auf der Karte der Bundesnetzagentur - mit Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt) als Anfangs- und Meitingen im Landkreis Augsburg als Endpunkt. Gedachte Markierungen für eine so genannte HGÜ-Leitung (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung). In der Grobskizze schrammt sie knapp an Nürnberg vorbei, halbiert Oberfranken. Mitten drin in der Einfallschneise: die Marktgemeinde Thurnau.
Konkretere Festlegungen über den genauen Trassenverlauf sieht der Plan zwar noch nicht vor. Doch zeigt die unspektakuläre Grafik nichts geringeres als eines jener Mammutprojekte beim geplanten Netzausbau, das sich ableitet aus dem bundespolitisch motivierten Wunsch zur Energiewende.
Noch ist es nicht mehr als eine Linie.
Massiver Windkraftzubau erwartet
Zur Begründung für den angeblichen Bedarf eines Neubaus von 450 Kilometern Überlandleitung heißt es im Netzentwicklungsplan des Bundes: "Aufgrund des absehbaren massiven Zubaus an Onshore-Windleistung sowie eines weiteren Ausbaus von Photovoltaikanlagen in Thüringen und Sachsen-Anhalt ergibt sich eine zusätzliche Überschussleistung aus den RegionenThüringen und Sachsen-Anhalt in der Größenordnung von 12 Gigawatt." Aus der Region Mecklenburg sei darüber hinaus bis 2032 auszugehen von einer zusätzlichen Überschussleistung von 7 Gigawatt, bedingt durch einen massiven Zubau an Windanlagen in der Ostsee sowie Mühlen entlang der Küste.
Mit dem HGÜ-Korridor von Vorpommern (mit dem Ursprung Güstrow nahe Rostock) über Sachsen-Anhalt bis nach Bayern werde die Kapazität des Übertragungsnetzes in den betreffenden Regionen wesentlich erhöht und die Energie großflächig nach Bayern transportiert. Gleichstrom favorisieren die Netzbetreiber übrigens deshalb, weil er sich - anders als Wechselstrom - über sehr lange Distanzen ohne größeren Reibungsverlust transportieren lässt.
Höchstspannung bei den Bürgern
Reibungen - die könnte es am Boden geben, denn auch diese Trasse ist eine für Höchstspannung. Vielerorts, wie im Kreis Coburg, sind dort die Pläne zum Bau einer 380-kV-Leitung stets Garant für Widerstand. Und auch die HGÜ wird Oberfranken durchziehen. Das wird Proteste auslösen - dafür ist keine Hellsehervorbildung nötig. Denn allein die Masten werden jene gewöhnlicher Stromleitungen an Höhe deutlich übersteigen; die Rede ist von 100 Metern. Viel Holz für Anrainer.
Eingeplant, aber auch eingeweiht?
Zu den Kommunen, die erst überplant und bis 2021 überspannt werden könnten, gehört Thurnau. Die Linie im gedachten Nord-Süd-Transfer könnte die Marktgemeinde schneiden. Bürgermeister Dietmar Hofmann will jetzt nicht die Pferde scheu machen: "Genauere Informationen über den Verlauf der Trasse liegen mir bislang nicht vor. Ich weiß nur: Wir reden von einem Korridor von grob 100 Kilometern - der reicht theoretisch von Schweinfurt bis Bad Berneck. Was Thurnau anlangt, sehe ich nicht zuletzt von der Geländestruktur einige Hindernisse für die Stromleitung. Da dürfte nach meiner Einschätzung der Netzbetreiber beim Bau einer anderen Route wesentlich problemloser fahren."
Ohnehin ist Hofmann einer, der einer dezentralen Energieversorgung das Wort redet. "Ich bin Befürworter von energie autarken Regionen. In unserem Fall könnte Thurnau die nötige Windkraft beisteuern, Wonsees Strom aus Photovoltaik und Biomasse bereitstellen. Womöglich brauchen wir, jedenfalls für unsere Zwecke, den Strom aus dem hohen Norden gar nicht mehr, wenn die Trassen in zehn Jahren fertig sind. Wenn überhaupt."
Energieversorger Eon macht da eine andere Rechnung auf: Wenn etwa die AKW-Brennstäbe im unterfränkischen Grafenrheinfeld keinen Strom mehr erzeugen, tue sich eine immense Lücke in der Versorgung auf, vor allem für energieintensive Betriebe. Die Kluft soll der Windstrom aus Norddeutschland schließen. Damit der wiederholt beschworene Blackout nicht doch Wirklichkeit wird.
Ob die Angst davor womöglich aufkeimende Proteste gegen die von Bürgerinitiativen wie Naturschützern kritisierten "Monstertrassen" im Keim erstickt? Eher nicht. Daher geisterte eine Idee durch Berlins Regierungsstuben, mit der man die Anwohner der Trassen zu besänftigen sucht: Betroffene sollen sich an den Projekten finanziell beteiligen und so am transportierten Strom vor respektive über der Haustür verdienen. Der Vorschlag stammt von Bundesumweltminister Peter Altmaier (CSU); Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hat sein "Gefällt mir" signalisiert. Seine These: "Wenn man selbst an einer Leitung beteiligt ist, steigt die Akzeptanz."
Röslers Pendant und Parteikollege in Bayern, Marin Zeil (FDP), drängt auf beschleunigte Verfahren. "Allein am Knotenpunkt Grafenrheinfeld wird mit der Abschaltung des Kernkraftwerks 2015 in großem Umfang Netzeinspeisung fehlen. Als Endpunkt einer leistungsstarken und innovativen HGÜ-Leitung aus dem Norden ist Unterfranken deshalb versorgungstechnisch optimal." Netzbetreiber Tennet könne bei seinen Projekten mit tatkräftiger politischer Unterstützung durch die Staatsregierung rechnen.