Masern: Ministerium erhöht Druck auf Impfverweigerer
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Mittwoch, 21. Juni 2017
Der Druck auf Eltern wächst: Wer sein Kind nicht gegen Masern impfen lässt, muss von den Tagesstätten gemeldet werden und zur Pflichtberatung.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin schlägt Alarm: Im ersten Halbjahr habe es bundesweit bereits mehr Masernfälle gegeben als im gesamten Jahr 2016. Nach Angaben der Ständigen Impfkommission (Stiko) wurden demzufolge 500 Betroffene gezählt. Für die vom Institut angestrebte Ausrottung der vermeintlichen Kinderkrankheit hätte es weniger als einen Fall pro eine Million Einwohner geben dürfen. Ende Mai starb in Essen eine dreifache Mutter an den Folgen einer Masernerkrankung. Sie hatte als Säugling zwar eine Impfung erhalten, jedoch keine zweite, wie sie das RKI dringend empfiehlt.
Es droht sogar eine Geldbuße
Das Bundesgesundheitsministerium verschärft derweil den Druck auf Eltern, die die Impfung ihrer Kinder verweigern, und weitet im gleichen Zug die Pflicht zur Beratung aus. Seit 2015 gibt es bereits eine Beratungspflicht für Eltern; bei Verstoß kann eine Geldbuße in Höhe von 2500 Euro fällig werden. Die Novellierung des Gesetzes verpflichtet die Leitungen von Kindertagesstätten, Beratungsverweigerer auch den Gesundheitsämtern zu melden. Beim Kulmbacher Gesundheitsamt sind die sozialmedizinischen Assistentinnen für die Beratung zuständig, sagt Amtsleiter Dieter Weiss. Und er ergänzt: "Wenn etwas Größeres gewesen wäre, hätten wir davon erfahren." Masernfälle gab es Weiss zufolge 2017 in Kulmbach noch keinen.
Wie er selber zu einer immer wieder, unter anderem von der Stiko, proklamierten Impfpflicht steht? "Vor 20 Jahren wäre ich ein Verfechter gewesen", sagt er. Ein Satz mit "aber", und das folgt: "Aber man wird auch dann nicht alle zu 100 Prozent erreichen. Im Kreis machen wir unsere Impfbuchkontrollen, und die zeigen: Wir haben eine sehr hohe Durchimpfungsrate, auch dank der Kinder- und Hausärzte, die sich dem Thema mit Leidenschaft widmen. Ich würde sagen, wir liegen nahe an der Grenze zu 90 Prozent."
Eine solche Quote garantiere, dass auch ein Ausreißer, sprich ein Einzelfall, noch keine Kleinepidemie auszulösen vermag. "Diese Schübe gehen oft von Kindereinrichtungen aus, in denen bis zu 30 Prozent der Mädchen und Jungen nicht geimpft sind. Ich sehe daher für unsere Region den Status einer Anordnung von staatlicher Seite nicht. Und Freiwilligkeit ist immer die bessere Vorgehensweise. Bei den allermeisten verfangen die guten Argumente für den Schutz."
Impfpässe zeigen
Was passiert, wenn ein nicht geimpftes Kind neu in eine Kindertagesstätte aufgenommen wird? Eine Kita-Leiterin in Kulmbach, die namentlich nicht genannt werden möchte, berichtet dazu: "Von den 80 Kindern bei uns sind vier nicht geimpft. Das wissen wir, weil wir uns die Impfpässe zeigen lassen. Ist jemand nicht geimpft, dann sage ich den Erziehungsberechtigten, dass sie sich bei ihrem Kinderarzt zur Beratung vorstellen sollen. Dafür gibt es eine entsprechende Bescheinigung, die ich mir wiederum von den Eltern vorlegen lasse."Die Leiterin betont, dass es bislang noch keinen Fall gegeben habe, in dem eine Mutter oder ein Vater eine Beratung verweigerten. Im betreffenden Kindergarten sei in den vergangenen Jahren auch kein Kind an Masern erkrankt.
Und wenn es einen Fall gibt? "Dann informiere ich die Eltern des ungeimpften Kindes, dass sie ihren Sohn oder die Tochter so lange nicht in die Kita bringen dürfen, bis auch das letzte kranke Kind wieder gesund ist. Das kann sich über mehrere Wochen ziehen. Als Leiterin beschleicht mich oft ein schlechtes Gefühl für diese Kinder, die dann zwangsweise zu Hause bleiben müssen. Sie versäumen sehr viel, aber natürlich trage ich die Verantwortung für alle Kinder."
Auch eine der Erzieherinnen in der besagten Kita hatte keinen dreifachen Impfschutz gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR). Der Träger der Einrichtung hat die Kollegin, die in der Krippe arbeiten wollte, dazu aufgefordert, den Impfschutz nachzuholen. Die Kosten für die Spritze wurden vom Arbeitgeber übernommen, ebenso die Nachsorgeuntersuchung. Die betreffende Mitarbeiterin ist Mitte 20 und habe die Impfung problemlos vertragen.
Ministerium: Pflicht kein Thema
Während die Leiterin der Tagesstätte sich durchaus für eine verpflichtende Impfung etwa gegen Wundstarrkrampf (Tetanus) einsetzt, will das Bundesgesundheitsministerium so weit nicht gehen. Minister Hermann Gröhe (CDU) geht davon aus, dass die Masern hierzulande auch ohne Impfpflicht verbannt werden könnten. "Ich glaube, dass unsere Maßnahmen das Ziel erreichen." Nicht Impfverweigerer seien das eigentliche Problem, sondern Eltern, die nach der ersten Standardimpfung nicht zum Arzt zurückkämen und die zweite folgen ließen.Gröhes Pendant auf bayerischer Landesebene, Melanie Huml (CSU), sähe in einer Pflicht einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte des Kindes und das Sorgerecht der Eltern - auch wenn sie bei ihrem eigenen Nachwuchs alle empfohlenen Impfungen habe vornehmen lassen. Bayern selber aber könne eine Impfpflicht erlassen, und zwar dann, wenn es zu einer extremen und flächendeckenden Zunahme an Masernfällen komme.
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hingegen spricht sich für den verpflichtenden Pieks aus - vor allem wenn es um öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten geht. Demnach sollte sogar die Aufnahme in Hort oder Krippe von der Impfung abhängig gemacht werden.
Es gibt freilich auch in der Ärzteschaft Vertreter, die gerade der Mumps-Masern-Röteln-Vorsorge mit der Verabreichung von Lebend-Viren skeptisch gegenüber stehen. Sie sehen im Durchleben der Krankheiten zwar auch ein Risiko, aber gleichsam verweisen sie auf eine angebliche Kräftigung des Immunsystems. Ein Kinderarzt in Karlsruhe hatte in seiner Praxis 200 Masernfälle ausgewertet. Er kam dabei zu dem Schluss: Kinder, die Masern in homöopathisch-anthroposophischer Begleitung durchlebten, seien im Anschluss an die Erkrankung deutlich seltener krank.
Gegner dieser Ansicht halten das für eine gefährliche Verharmlosung. Neben den typischen Symptomen wie Fieber, Husten, Schnupfen und Hautausschlag kann eine Masernerkrankung zu ernsthaften Komplikationen wie Lungen- und sogar Gehirnentzündungen führen, die im schlimmsten (wenn auch selten eintretenden Fall) zum Tod führen können.