Mainleuser fürchtet in der Ukraine um sein Leben
Autor: Alexander Hartmann
Mainleus, Mittwoch, 09. März 2022
Der Mainleuser Thomas Simmler lebt nahe des ukrainischen Atomkraftwerks, das von der russischen Armee angegriffen worden ist. Er hat Angst um seine Familie, spricht vom "wahnsinnigen Putin" und übt herbe Kritik am Westen.
Er spricht vom "wahnsinnigen Putin". Er kritisiert den Westen, allen voran die USA, die trotz aller Warnungen in den vergangenen Jahren die Ukraine aufgerüstet und ukrainische Soldaten ausgebildet und so Putin provoziert hätten. Und er glaubt, dass viele Deutsche den Ernst der Lage noch nicht erkannt haben. "Das ist kein russischer Krieg gegen die Ukraine, das ist der Dritte Weltkrieg", betont Thomas Simmler, der seit Kriegsbeginn auf einem Pulverfass sitzt. "Ich bin mit den Nerven am Ende. Ich habe Angst um unser Leben", sagte der gebürtige Mainleuser, der mit Lebensgefährtin Irina und Tochter Sofia (9) in Marhanez lebt, einer 40 000 Einwohner zählenden Stadt am rechten Ufer des Dnepr in der Region Dnipropetrowsk.
"Ich habe den Feuerschein gesehen"
Das kleine Einfamilienhaus, das die dreiköpfige Familie bewohnt, liegt nur zehn Kilometer Luftlinie entfernt vom größten Atomkraftwerk Europas, das in Saporischschja steht und am Freitag von der russischen Armee angegriffen und in Beschlag genommen worden ist. "Vom Stadtrand aus schaut man direkt auf das Kraftwerk", sagt der 63-Jährige, der früher in der Band "Fun House" gespielt hat und vielen Kulmbachern bekannt sein dürfte. "Ich habe den Feuerschein gesehen und gleich gewusst, dass es sich um einen russischen Angriff handelt", erinnert sich Simmler an Freitagnacht. Nach der ersten Aufregung habe er durchschnaufen können: "Wäre das Kraftwerk beschädigt worden, wäre ein Atomalarm ausgelöst worden. Das war zum Glück nicht der Fall." Um sich vor einer möglichen Strahlung zu schützen, seien von den Behörden aber vorsorglich schon Jodtabletten ausgegeben worden.
Mit dem Zug nach Marhanez
Thomas Simmler, der noch ein Haus in Mainleus besitzt, ist in den letzten Jahren immer wieder zwischen Deutschland und der Heimat von Tochter und Lebensgefährtin hin- und hergereist. Als sich die Ukraine-Krise vor Wochen zugespitzt hat, war er in Deutschland. Er ist dem Hilferuf der Familie gefolgt. "Ich habe vorausgesehen, dass aus der Krise ein schrecklicher Krieg wird. Ich wollte schnellstmöglich zu meiner Tochter und Lebensgefährtin, die Angst hatten", berichtet Simmler, der nach eineinhalb Tagen Zugfahrt in Marhanez angekommen ist, einer Stadt, die ein bedeutendes Zentrum der Förderung von Manganerz ist.
Der Krieg bestimmt das Leben
Es ist eine Stadt, in der heute die Kriegsgefahr das Leben bestimmt. "Kommen die Russen, kommen sie nicht? Das ist die Frage, die uns Tag für Tag quält", sagt Simmler, der Raketenabschüsse gehört hat, nach dessen Worten es in Marhanez aber noch relativ ruhig ist. Doch die Sorgen und Nöte der Bewohner seien groß. Lebensmittel würden rarer, seien teilweise schon rationiert, an Banken hätten sich lange Schlagen gebildet, "weil die Leute ihr Bargeld abheben". Die Nervosität steige: "Denn keiner weiß, was kommt."
"Flucht ist zu gefährlich"
Ob er mit dem Gedanken gespielt hat, aus dem Land zu flüchten? "Natürlich habe ich das", sagt Simmler. Er habe auch schon ein Taxi geordert, um an die westukrainische Grenze zu fahren, habe dann davon aber Abstand genommen. "Denn auch die Flucht ist gefährlich, weil die russische Armee auf flüchtende Zivilisten schießt." Weitläufige Bekannte seien, so berichtet er, ums Leben gekommen, als eine Mine explodierte.
"Putin lässt sich nicht aufhalten"
Ob Putin noch zu stoppen ist? "Putin lässt sich nicht aufhalten", sagt Thomas Simmler, der sich aber in einem auch sicher ist: "Die Ukrainer verlieren ihren Patriotismus nicht. Wenn die Russen den Krieg gewinnen, wird es ein Guerillakrieg werden." Der 63-Jährige ist davon überzeugt, dass der russische Präsident versuchen würde, nach der Ukraine auch noch weiteres Territorium zu erobern. Er sieht eine große Gefahr für ganz Europa.