Landwirtschaft in der Region: Ohne Brüssel kein Überleben
Autor: Jochen Nützel
Marktschorgast, Mittwoch, 22. Mai 2019
Für Landwirte ist sie existenziell: die erste Säule der EU-Agrarförderung, die direkte Ausgleichszahlungen regelt. Doch das System steht auf der Kippe.
Wenn Bulle Sido in den Offenstallungen durch die Reihen seiner "Mädels" schreitet, muht es. Das Muhen wird lauter, sobald Biobauer Michael Greim für seine annähernd 400 Deutsch-Angus-Rinder das Mittagessen bereitet: Kleegras, Gras-Silage, Heu, Getreideschrot und Grüncobs, eine Art Graspellets. Die stattlichen Rindviecher stürzen sich auf die Kost, wohlwollend beobachtet von Alisa Greim. Die Neunjährige sagt: Sie wird eines Tages den Biohof übernehmen.
"Manchmal weiß ich nicht, ob ich ihr das raten soll", sagt Papa Michael Greim und ruckelt an seiner Schildmütze. Die Auflagen, die er jetzt bereits zu erfüllen hat, bereiten dem 44-Jährigen Kopfzerbrechen. "Ein 12-Stunden-Arbeitstag im Stall oder auf meinen 220 Hektar Wiesen und Feldern ist kein Problem - aber diese überbordende Bürokratie und all die Vorgaben, das ist nicht mehr lustig." Dabei betreibt er das, was sich der Deutsche offenbar gemeinhin als das Bauernidyll schlechthin vorstellt: einen Hof mit glücklichen Tieren samt Frischluft und Auslauf; eine Bewirtschaftung nach den strengen Demeter-Richtlinien, die auf die chemische Spritzmittelkeule verzichtet. Wunderbar!?
Stärkere Anreize schaffen
Doch hängt auch der Biobauernhimmel nicht voller Geigen, mischen sich schiefe Töne darunter. Und zunehmend scharfe. Einer davon hängt mit dem aktuellen politischen Ansinnen zusammen, die Ausgleichszahlungen aus dem Brüsseler EU-Topf prinzipiell neu aufzusetzen (siehe Infobox rechts). Aus Sicht des Umweltbundesamtes etwa sollte die Gemeinsame Agrar-Politik (GAP) der EU nicht mehr allein darauf beruhen, einfach nach Hektarfläche zu fördern, sondern Steuergelder nur noch konsequent nach dem Prinzip "öffentliches Geld für öffentliche Umweltleistungen" auszurichten.
Der Hintergrund: Das Parlament soll so stärkere Anreize schaffen, damit die gesamte Landwirtschaft - also auch konventionelle Betriebe - mehr auf Umwelt- und Naturschutz setzt. SPD und Grüne beispielsweise plädieren im EU-Agrarausschuss dafür, die Mehrheit, die die Europäische Volkspartei (EVP) stellt, zu der Vertreter von CDU und CSU gehören, ist für die Beibehaltung des Bestehenden.
Dass diese erste Säule womöglich ganz gekippt wird, das würde sogar Biobauer Greim treffen. "Ich bin ganz klar auf die Zahlungen angewiesen." Insgesamt kam er für das Jahr 2017 auf einen stattlichen Betrag, wie er selber sagt. Den Löwenanteil machen neben der Basisprämie, die in erster Linie der Einkommenssicherung des Landwirts dient, die Zuwendungen für den ökologischen Landbau aus sowie die Ersatzzahlungen für Klimaschutzmaßnahmen und das Greening.
Und ohne das? "Müsste ich mir eine andere Arbeit suchen", sagt er knallhart. "Ich habe ja nicht aus Jux und Tollerei im Lauf der Zeit auf 400 Tiere aufgestockt, wobei mancher jetzt von ,Massentierhaltung' sprechen würde. Aber es ist eben so, in unserer Branche lautet die Devise: Wachse oder weiche. Man kann es sich freilich immer wünschen, dass alle Bauern mit kleinen Tierbeständen und ökologisch wirtschaften - aber ich frage mich, wer die so produzierten Waren denn kauft?"
Molkereien für Biomilch hätten bereits Wartelisten, und die Verbraucher scheinen nicht in der notwendigen Masse bereit zu sein, einiges mehr für Lebensmittel auszugeben. "Wenn ich das Doppelte für Fleisch und Milch bekäme, könnte ich leicht den Tierbestand halbieren. Aber das ist halt utopisch."