Kurt Goletz - seine Odyssee endet in Lehenthal
Autor: Sonny Adam
Lehenthal, Sonntag, 20. Sept. 2015
Die aktuelle Flüchtlingswelle lässt den bekannten Schlosser und Klempner zurückdenken an sein eigenes Leben. Er wurde mit 14 Jahren von seiner Familie getrennt - doch seine Geschichte ging gut aus. Am Montag feiert er seinen 85. Geburtstag.
Immer am Geburtstag holen ihn die Erinnerungen ein - die Gedanken an die eigene Flucht. "Genau an meinem Geburtstag war ich in Kulmbach", erzählt Kurt Goletz, der bekannte Schlosser und Klempner aus Lehenthal und Vater des noch bekannteren Sängers und Musikers "Frankensima" Philipp Simon Goletz. Am Montag wird er 85 Jahre alt - vor 70 Jahren endete seine Flucht aus Oberschlesien, als er seine Familie wiederfand.
"1945 sind wir evakuiert worden", sagt Goletz und erinnert sich an damals, als ob es gestern gewesen wäre. "Meine Mutter und mein Bruder kamen auf ein Auto, ich auf ein anderes. Ich hab dann meine Mutter nicht mehr getroffen." Im Zeitalter ohne Handy und Internet und in den Wirren des Krieges verlor man sich aus den Augen.
Unbegleiteter Minderjähriger
Der 14-Jährige stand alleine da. Heute würde man sagen: ein unbegleiteter Minderjähriger.
Weiter ging die Odyssee des Flüchtlings bis nach Österreich. Dort kam Goletz bei einer Familie unter - und erfuhr dann, dass seine Mutter und der Bruder in Lehenthal sind. "Ich wollte mit einem Transport nach Deutschland, aber die Amerikaner haben mich nicht gelassen. Da hat ein Deutscher gesagt, er habe sowieso fünf Kinder, ich soll einfach mit ihm mitgehen."
Vom Zug abgesprungen
So kam er nach Deutschland.
Von der freundlichen Familie, die ihn mitgenommen hatte und auf dem Weg nach Nordrhein-Westfalen war, trennte er sich in Augsburg. Wieder stand er allein da. "Da hab' ich drei Landser getroffen, die haben einen Güterwagen organisiert und ausgemacht, dass ich mitfahren kann. Der Zug hat in Kulmbach nicht gehalten, aber sie haben mit dem Lokführer vereinbart, dass er in Kulmbach langsamer fahren würde. Da konnte ich abspringen", berichtet Goletz. "Das war mein 15. Geburtstag."Am nächsten Tag fand er tatsächlich in Lehenthal die Familie wieder. Ein Erinnerungsstück von damals hat er bis heute aufbewahrt: die graue Wolledecke, die ihn bei seiner Flucht begleitete. Sie erinnert ihn an die anstrengende Flucht, an Ängste, Ungewissheit, Not und Verzicht. "Wir waren deutschsprachig, wir konnten uns verständigen. Die Flüchtlinge heute haben es so schwer. Ich weiß, wie es ist, wenn man vor dem Krieg ausreißt", sagt Goletz.
Auf Montage in aller Welt
In Lehenthal fand der junge Schlesier sofort Anschluss: Er war beim BSC und spielte beim VfB Fußball. Beruflich machte er in Kulmbach eine Ausbildung als Klempner. Jahrelang war Goletz auf großen Baustellen für die Wabag in Jugoslawien, Bosnien, Indien und der Mongolei tätig. "1959 haben wir gebaut, und ich wollte nicht mehr auf Montage" - so machte er sich selbständig, legte 1963 die Meisterprüfung als Klempner ab und 1965 die Meisterprüfung als Schlosser.Viele seiner Arbeiten sind noch heute in Kulmbach sichtbar: zum Beispiel die Blecheindachung bei Raps. "Ich habe in meiner aktiven Zeit 13 Lehrlinge ausgebildet", sagt er und ist auf jeden stolz. Auch mit seinen nun 85 Jahren steht Goletz noch täglich in der Werkstatt. "Aber ich gehe nicht mehr so gerne aufs Dach, deshalb mache ich lieber Schlosserarbeiten, schmiede Türen und so was."