Kostenexplosion im Pflegeheim: Kulmbacher verzweifelt
Autor: Dagmar Besand
Kulmbach, Freitag, 03. Juli 2020
Der Eigenanteil an den Pflegekosten steigt rapide. Johann Popp muss künftig fast 40 Prozent mehr berappen als bei seinem Einzug 2016. Gibt es eine Lösung?
Seit 2016 lebt Johann Popp im Evangelischen Wohnstift in der Tilsiterstraße. Der 94-Jährige und seine Angehörigen sind sehr zufrieden mit der Betreuung, dem menschlichen Miteinander, den Angeboten. "Das ist alles wunderbar. Mein Vater fühlt sich sehr wohl", lobt Sohn Gerhard Popp.
Trotzdem bereitet das Leben im Pflegeheim der Familie Sorgen. Der Grund: Die Heimkosten steigen von Jahr zu Jahr, und zwar erheblich. Die jüngste Mitteilung über die zum 1. Juli geplanten Erhöhungen macht den 59-Jährigen fassungslos: "Das sind jetzt fast 45 Prozent Steigerung beim Eigenanteil innerhalb von vier Jahren - von rund 1659 Euro auf künftig 2278 Euro. Wie soll denn das weitergehen?"
Insgesamt ist die Heimunterbringung sogar noch viel teurer. Die Pflegekasse trägt einen Teil der Kosten, gestaffelt nach dem Pflegegrad. Für Johann Popp mit Einstufung in Pflegegrad 2 bedeutet dies auf der Basis der vor der geplanten Erhöhung jetzt noch gültigen Preise: Von 2769 Euro Gesamtkosten übernimmt die Pflegekasse 787 Euro, er selbst muss 1981 bezahlen. Ab Juli sollen es auf einen Schlag 297 Euro mehr sein.
Wie hilft das Entlastungsgesetz?
Eigentlich bräuchten sich die Söhne wegen der Kosten seit diesem Jahr keine Sorgen mehr zu machen. Das Angehörigen-Entlastungsgesetz hat mit Wirkung zum 1. Januar 2020 den Elternunterhalt neu geregelt. Wer nicht mehr als 100 000 Euro im Jahr verdient, muss sich nicht mehr an den Pflegekosten beteiligen. Fehlbeträge werden über die "Hilfe zur Pflege" von der Sozialhilfe übernommen.
Für die Popps kommt das allerdings nicht in Frage. Der Senior hat vor einigen Jahren seinen Kindern sein Haus überschrieben. Bevor die Sozialhilfe einspringt, muss eine solche Schenkung rückgängig gemacht, das Haus verkauft werden.
Den Grundsatz, dass zuerst vorhandenes Vermögen herangezogen wird, findet die Familie an sich in Ordnung. Also legen die beiden Söhne den Fehlbetrag selbst drauf. Doch angesichts der Kostensteigerungen fällt das von Jahr zu Jahr schwerer. "Niemand sagt einem beim Einzug ins Pflegeheim, wie schnell ein Platz 500 Euro mehr kostet", kritisiert Gerhard Popp.
Neujustierung dringend nötig
Besorgt angesichts der Entwicklung der Heimkosten äußert sich auch Rainer Ludwig, Kulmbacher Landtagsabgeordneter der Freien Wähler, auch angesichts eigener Erfahrungen mit Angehörigen im Pflegeheim. Eine Neujustierung der Leistungsansprüche sei dringend nötig: "Pflegebedürftigkeit darf nicht zum Armutsrisiko werden." Eine faire Aufteilung der Kosten sei eine bundespolitische Aufgabe, auf Landesebene könne man aber wichtige Impulse geben.