Kulmbacher Senioren helfen beim Entziffern alter Sütterlin-Schriften
Autor: Dagmar Besand
Kulmbach, Freitag, 14. November 2014
Der Kulmbacher Literaturverein möchte den unveröffentlichten Nachlass der Mundartdichterin Elise Gleichmann als Buch herausbringen. Beim Entziffern der alten Sütterlin-Handschriften helfen Senioren aus dem Mainpark.
Der Papierstapel ist beeindruckend: 458 Seiten dicht von Hand beschriebene Blätter aus dem Kulmbacher Stadtarchiv liegen abfotografiert und vergrößert bereit - in Sütterlin-Schrift, verschnörkelt, oft eilig notiert, verblasst, durchgestrichen, überschrieben, meist in Mundart. Schönschrift gibt's nur ausnahmsweise.
"Ich kann die deutsche Schrift schon ganz gut lesen, aber bei diesen Handschriften bin ich schnell an meine Grenzen gekommen", sagt Harald Stark, Kastellan und heimatkundlich bewanderter Erforscher historischer Quellen. Stark ist der Vater der Idee, den Gleichmann-Nachlass zu bearbeiten und bislang Unveröffentlichtes der Allgemeinheit zugänglich zu machen.
Er begeisterte Andrea Senf und Karin Minet vom Literaturverein für die Idee.
Die Alten können es am besten
Doch wenn selbst Menschen, die viel mit alten Quellen arbeiten, die Schrift nicht lesen können - wer dann? Im Gespräch mit ihrer Schulfreundin Birgit Mücke, die als Betreuungskraft in der Seniorenwohnanlage Mainpark arbeitet, kam Andrea Senf die rettende Idee: Sie fragten die Senioren, ob sie helfen können, und es fand sich schnell ein kleiner Kreis, der seit August Woche für Woche einen Nachmittag mit der Enträtselung der alten Handschriften verbringt.
"Das ist eine sehr interessante Aufgabe", sagt Berta Focke. Die 94-Jährige ist eine der Stützen des Projektkreises, denn sie kann fast alles entziffern - sogar Mundart-Ausdrücke, die heute nicht mehr gebräuchlich sind. "Gerade beim Dialekt ist es schon manchmal knifflig", sagt die Seniorin, aber sie liebt die Herausforderung. Dasselbe gilt für Käthe Hohner. Die 82-Jährige war schon als Kind fasziniert von der ebenmäßigen Bild der deutschen Schrift.
Harald Stark und Andrea Senf sind für diese Liebe zur alten Schrift sehr dankbar. "Es wäre für uns sonst fast unmöglich, diese Texte für den Leser von heute zu übertragen", so Andrea Senf. Der Literaturverein beabsichtigt, diejenigen Texte, die noch nie veröffentlicht wurden, als Buch herauszubringen. Dafür erfasst Andrea Senf alle Texte per Computer.
Ein volkskundlicher Schatz
Und wer war diese Frau, mit deren Nachlass man sich heute so viel Mühe gibt? "Sie ist die Vorreiterin der fränkischen Sagensammler", sagt Harald Stark. Sie hat überlieferte Sagen und historische Begebenheiten aufgeschrieben, auch Schlumperliedla und ein unvollendetes Wörterbuch der Mundartausdrücke. "Das ist volkskundlich eine wichtige Aufgabe", sagt Stark.
Die Entzifferung der alten Handschriften ist eine langwierige Aufgabe. Deshalb würde sich der Literaturverein sehr über weitere Unterstützung freuen. Wer noch Sütterlin lesen kann und bereit wäre, eine oder mehrere Seiten zu übernehmen und lesbar neu zu schreiben oder jemandem zu diktieren, wendet sich an Andrea Senf, Telefon 09221/3911691, andrea.senf@gmx.de. "Wir nehmen jede Hilfe, die wir kriegen können", sagt die Projektleiterin, denn bisher sind erst 30 Seiten geschafft.