Kulmbacher Lungenfacharzt Joseph Alhanna rügt Widerstand gegen Stickoxid-Grenzwert
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Montag, 04. Februar 2019
Wenn sich im Dieselstreit 100 Lungenärzte gegen Tausende Studien und das Gros ihrer Kollegen stellen, enttäuscht das den Kulmbacher Joseph Alhanna.
Mit dem Kopf schütteln - das ist das, was Joseph Alhanna tut, wenn er sich die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) ansieht. Er zweifelt nicht an den Erhebungen darin, der Lungenfacharzt am Klinikum Kulmbach ist schließlich selber DGP-Mitglied. Nein: Er kann nicht glauben, dass führende Kollegen seiner Fachrichtung, die sich noch 2010 klar dazu positioniert hatten, plötzlich das Gegenteil verkünden: Dass erhöhte Luftschadstoffkonzentrationen durch Feinstaub und Stickoxid (NO 2 ) kein messbar erhöhtes Risiko bedeuten, um an Lungenkrebs oder der Chronisch obstruktiven Lungenerkrankung COPD zu erkranken.
Ausgerechnet der Koordinator besagter Leitlinien gehört zu den 100 Unterzeichnern eines Papiers, initiiert vom ehemaligen DGP-Präsidenten Dieter Köhler. Jener, einst die größte Nummer der deutschen Lungenfachärzteschaft, sitzt seither als Dauergast in Talkshows und betont: Die Gesundheitsgefahren durch Feinstaub und Stickoxide würden bewusst aufgebauscht - wider besseres medizinisches Wissen. Es sei kein Nachweis erbracht, dass Feinstaub in höherer Dosis mehr Schäden verursache. "Daran hätte man schon merken müssen, dass etwas faul ist", bekundet Köhler gebetsmühlenartig. Und ergänzt: Es gebe keine biologische Erklärung, "warum Feinstaub das alles im Körper anrichten soll".
"Gegen alles Erwiesene"
"Das ist einfach unglaublich" sagt Joseph Alhanna und schüttelt wieder den Kopf. Dass ausgerechnet eine Koryphäe seiner Zunft "dermaßen gegen alles Erwiesene" wettern könne, bereitet dem Arzt aus Syrien nahezu körperliche Schmerzen. "Es gab stets eine klare Ansage der DPG auch dahingehend, dass wir die Politik auffordern, Luftverschmutzung aus den genannten Gründen zu bekämpfen - und die Grenzwerte sogar noch weiter absenken, also unter die genannten 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft."
"Nicht aus dem Hut gezaubert"
Die entstanden für Deutschland und die anderen EU-Staaten nach einer langen Debatte und wurden 2008 von EU-Parlament und EU-Rat beschlossen. Vorreiter war die Weltgesundheitsorganisation WHO, die 50 als Maximum angesetzt hatte. "So eine Institution zaubert sich eine Marke doch nicht aus dem Hut", sagt Alhanna. "Es waren fast vier Jahre intensiver Studienarbeit und das Auswerten von über 1000 Untersuchungen von 2003 bis 2006 vorausgegangen."
In der Fachliteratur sei belegt, dass bereits ab fünf Mikrogramm die Sterblichkeit um 0,3 Prozent erhöht ist. "Mit jedem weiteren Mikrogramm steigt diese Kurve an, das ist Fakt."
Umgekehrt hätten Köhler und Co. für ihre Behauptungen keinerlei Beweise. "Es wird spannend auf dem DPG-Kongress im März. Dort werden sie liefern müssen. Aber sie werden am Ende mit leeren Händen dastehen", prophezeit Alhanna und ergänzt. "Es gibt nichts an Forschungen, die in irgendeiner Weise rechtfertigen würden, an den Erkenntnissen von 2010, die in unsere medizinischen Leitlinien mündeten, zu zweifeln." Als Mediziner sehe er Forschung als Basis der klinischen Arbeit. "Sonst könnte ich in allen Wissenschaften geprüftes Wissen aus Jahrzehnten einfach vom Tisch wischen."
Aufschlussreich findet der Syrer Recherchen des ZDF-Magazins "Frontal 21". Die Journalisten hatten eruiert, wer von den Unterzeichnern des Köhler-Vorstoßes selber Studien zum Thema gemacht hat. Das Resultat: Von allen 100 Unterzeichnern hat kein einziger entsprechende Forschungsarbeiten dazu in petto.