Kulmbacher Autor erzählt von Brauern vor Gericht
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Samstag, 02. November 2013
Jetzt wird's gerichtsmassig: Helmut Geiger hat alte Kriminalakten aufgestöbert. In seinem dritten Buch erzählt er, warum Kulmbachs Brauer vor den Kadi gezerrt wurden. Aber auch, dass Ibis-Bier aus Kulmbach in die weite Welt exportiert wurde.
Kann denn Bierbrauen Sünde sein? Im Normalfall nicht, weiß der gewöhnliche Kulmbacher Biertrinker. Aber wenn in den Gerstensaft, der - in Bayern zumal - dem Reinheitsgebot unterliegt, Zusatzstoffe reinkommen, die da nicht hingehören, dann schon. So geschehen vor über 100 Jahren, als die Produkte der Kulmbacher Brauer in jedem Winkel der Welt getrunken wurden. Die Konkurrenz war neidisch und fand heraus, dass Reichel und Rizzi, Petz und Pertsch und all die anderen Kulmbacher Brauer ihrem dunk len, extrakt reichen und starken Exportschlager Zuckercouleur beimengten.
Was hat es damit auf sich? Der Guttenberger Helmut Geiger, geboren und aufgewachsen in Kulmbach, hat sich bei der Vorbereitung auf sein drittes Buch "Culmbacher/Kulmbacher über alle Grenzen - wie Kulmbach Bierstadt wurde" in die Kriminalakten vertieft. "Mir ist beim Stöbern in alten Zeitungsbänden eine Anzeige von 1901 aufgefallen. Der Gastwirt Lauterbach hat ein ,Versandt-Bier ohne Couleur' zum Schlachtfest offeriert", so der 72-Jährige, der natürlich schon vom Kulmbacher Zuckercouleur-Prozess gehört hat. Er will es genau wissen, aber die Ermittlungen sind schwierig und langwierig. "Bis ich im Hauptstaatsarchiv Bamberg eine verstaubte alte Akte zu dem Thema entdeckte."
Bis zum Jahr 1900 (fast 800.000 Hektoliter) haben die verbliebenen 16 Kulmbacher Brauereien ständig neue Absatzrekorde erzielt. "Culmbacher" ist weltweit ein Begriff, es wird überall hin exportiert - bis nach Chile, Australien oder in die USA. "Mit dem Prozess kam der dramatische Einbruch", so Geiger. "Alle Kulmbacher Brauereien hatten jahrelang gepanscht - unisono. Nichts Schlimmes eigentlich, sie hatten nur Biercouleur zugesetzt, gebrannten Stärkezucker. Und die neidische norddeutsche Konkurrenz zerrt sie schließlich vor den Kadi."
Mit dramatischen Folgen
Genauer gesagt: vor das Landgericht Bayreuth. Das Buch schildert den Prozess. Insgesamt sind 20 Führungskräfte aller damals exportierenden Brauereien angeklagt worden. Dazu vier Händler, die den unerlaubten Zusatzstoff verkauften. "Obwohl alle Angeklagten verurteilt wurden, konnte wenigstens ein kleiner Erfolg erzielt werden. Das Urteil brauchte nicht veröffentlicht werden. Deshalb ist über die schwärzeste Stunde der einheimischen Brauereigeschichte recht wenig bekannt", sagt der Autor. Die Folgen seien dennoch dramatisch gewesen. "Die Produktion ging um 40 Prozent zurück, viele Mitarbeiter verloren ihre Arbeit und die brauereiabhängigen Handwerksbetriebe die Aufträge."
Dennoch, so Geiger weiter, der Kulmbacher Bierexport ist eine Erfolgsgeschichte gewesen, beginnend 1831 und mit einem steilen Anstieg nach dem Anschluss der Stadt ans Schienennetz 1846. Sachsen, Berlin und Schlesien sind die ersten Absatz gebiete. Dann Norwegen, Däne mark, Frankreich, die Schweiz und Österreich-Ungarn - "und schließlich gab es kein Halten mehr". Davon zeugen die zahlreichen Abbildungen von Etiketten aus aller Welt im Buch Geigers, der seine weltweiten Sammlerkontakte genutzt hat.
Vornehmlich den damaligen Brauriesen im Norden und Osten des Deutschen Reiches ist das dunkle, leicht süßliche Bier aus Kulmbach ein gewaltiger Dorn im Auge gewesen. Außerdem kann man mit Kulmbacher gut Geld verdienen, denn es ist gegen den Willen der hiesigen Brauer wie das Münchner oder Dortmunder zum Gattungsbegriff geworden. Geiger: "Davon ist heute nur noch das Pilsener übrig geblieben." Also geben Brauereien aus Dresden, aus Rostock oder Potsdam vor, Kulmbacher herzustellen. Auch von den Plagiaten hat Geiger jede Menge Belege gesammelt.
Problem löst sich von selbst
Die Prozesse gegen die Plagiateure ziehen sich Jahrzehnte hin - ohne endgültige Rechtssicherheit zu bekommen. "Das Problem für die hiesigen Brauereien löste sich ab den zwanziger Jahren von selbst, als die hellen Biere immer mehr in Mode kamen und auch in Kulmbach die Vorherrschaft übernahmen."
Wie aber ist Ende des 19. Jahrhunderts das Bier nach Übersee gekommen? "Die vielen kleinen Brauereien aus Kulmbach waren in ihren engen staubigen Büros nicht in der Lage, die weltweite Nachfrage selbst zu erledigen - den Transport nach Hamburg oder Bremen, die Einschiffung, die Zollabwicklung im Reich und im Bestimmungsland und schließlich die Valuta- und Zahlungsangelegenheiten. Dazu bedienten sich alle eines Exportagenten oder Dispositeurs", weiß der Autor. Diese Zwischenhändler beziehen das Bier in großen Transportfässern mit zwei bis fünf Hektolitern und füllen selbst in kleine Fassgebinde, aber auch in Flaschen ab. Seinerzeit hat es in Kulmbach noch keine Flaschenabfüllmaschinen gegeben ("Die Erste Kulmbacher bekam eine solche erst 1906") und demnach auch keine eigenen Etiketten. Geiger: "Das machten die Dispositeure selbst. Das Ergebnis waren für Kulmbach und für Bier total untypische Abbildungen." Im Buch sind Beispiele zu sehen, unter anderem verwendet ein Hamburger Exporteur einen Tropenvogel für seine "Culmbacher Exportbier-Brauerei Ibis", die es nie gegeben hat.
Wie hat's geschmeckt?
Keine Frage: Der 72-jährige Bierenthusiast hat für sein drittes Buch wieder einen großen Aufwand betrieben. "Es ist für mich das spannendste gewesen, mit Recherchen auf der ganzen Welt", sagt Geiger. Offen bleibt dennoch eine Frage: Wie hat dieses Kulmbacher Bier - mit oder ohne Zuckercouleur - seinerzeit geschmeckt?