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Kulmbacher Angeklagter versteht nur Bahnhof - und bleibt straffrei


Autor: Stephan Tiroch

Kulmbach, Dienstag, 22. Januar 2019

Warum das Verfahren gegen einen Mann, der wegen mehrerer Drogendelikte angeklagt war, vorläufig eingestellt wurde. Scheitert hier die Justiz?
Das Verfahren gegen einen Mann, der   wegen  mehrerer Drogendelikte angeklagt war, wurde vorläufig eingestellt. Er gilt als verhandlungsunfähig.   Scheitert hier die Justiz? Foto: Arne Dedert / dpa


Alle waren da: die Richterin, zwei Schöffen, die Protokollführerin, der Staatsanwalt, der Verteidiger, der Sachverständige, mehrere Zeugen und der Angeklagte mit seinem Betreuer. Aber sie alle mussten am Dienstag unverrichteter Dinge wieder nach Hause gehen. "Dann sind wir für heute fertig", sagte Richterin Nicole Allstadt, nachdem sie das Verfahren vorläufig eingestellt hatte.

Dass der Prozess gegen den 54-jährigen Mann, der wegen mehrerer Drogendelikte angeklagt war, geplatzt ist, hängt mit der Strafprozessordnung zusammen. Hier: mit der Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten.

Ein Jahr Freiheitsstrafe droht

Staatsanwalt Stefan Hoffmann warf ihm unter anderem vor, in vier Fällen Crystal-Meth - eine sehr gefährliche Substanz, die schnell abhängig macht - an Minderjährige abgegeben zu haben. Ein Verbrechen, das mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bestraft wird.

Bevor die Verhandlung im Sitzungssaal des Amtsgerichts Kulmbach richtig in Gang kam, wurde auf Antrag von Rechtsanwalt Wolfgang Schwemmer, Bayreuth, über die Verhandlungsfähigkeit seines Mandanten diskutiert. Die entscheidende Frage lautete: Kann er der Verhandlung folgen, kann er komplexe Sachverhalte erfassen, kann er seine Interessen wahrnehmen und sich verteidigen?

Mann macht nicht mit

Daran bestehen erhebliche Zweifel, wie Michael Zappe vom Bezirksklinikum Bayreuth erläuterte. Er habe, so der Facharzt für Forensische Psychiatrie, den Angeklagten nicht untersuchen können. Der Mann habe erklärt, dass er keine Angaben machen will. "Er sagte, dass eine erneute Begutachtung nicht notwendig sei und er sich nichts vorzuwerfen habe. "

In dem kurzen Gespräch habe der Proband den Eindruck vermittelt, "dass er verstanden hat, um was es geht und was ihm vorgeworfen wird", so Zappe, der weitergehende Erkenntnisse aus früheren Untersuchungen gewann. Demnach leidet der Mann unter den Nachwirkungen mehrerer Schlaganfälle. Er hat laut Gutachter keine komplette Aphasie, aber große Probleme zu verstehen, was gesprochen wird. Wenn er selbst unter Druck steht, fange er an zu stottern und und tue sich schwer, sich auszudrücken und Worte zu finden.

"Getobt und geschrien"

Eine Einschätzung, die auch der amtlich bestellte Betreuer des Angeklagten teilte. Die Zusammenarbeit sei anfangs sehr schwierig gewesen. "Er hat getobt, geschrien und ist einfach rausgerannt", so der Mann. Der Zustand seines Klienten habe sich den letzten Jahren allerdings verbessert. Die Schulden von mehreren 10.000 Euro seien nicht mehr geworden, und es gebe auch kaum mehr Gewaltdelikte.

Die Empfehlung des Sachverständigen, sich in der Verhandlung auf kurze, einfache Sätze zu beschränken, hielten das Gericht und der Verteidiger für nicht durchführbar. Dann, so Zappe, sei nicht zu sagen, "ob der Angeklagte einer langen Verhandlung folgen kann". Es sei auch nicht erkennbar, wann er gedanklich aussteigt.

Verteidiger erklärt, was gerade passiert ist

An diesem Verfahrenshindernis kam man nicht vorbei. "Der Angeklagte darf zu keinem Zeitpunkt zum Objekt des Verfahrens gemacht werden", stellte die Richterin fest. Sie beendete die Sitzung, und der Verteidiger erklärte seinem Mandanten mit einfachen Worten, was gerade passiert ist.

Insgesamt ein Verfahrensausgang mit einem unbefriedigenden Ergebnis: Scheitert hier die Jusitz? Hat jemand, der nur Bahnhof versteht, einen Freibrief? Kann man den 54-Jährigen nicht zur Verantwortung ziehen? Was passiert, wenn er weitere - und schwerere - Straftaten begeht? Alles Fragen, die Leitender Oberstaatsanwalt Herbert Potzel beantwortete.

Ein Freibrief für Straftaten?

Wenn nicht auszuschließen ist, dass der Mann verhandlungsunfähig ist, so Potzel, bleibe nur die vorläufige Einstellung des Verfahrens. Die Betonung liege auf "vorläufig". Der Fall werde nicht zu den Akten gelegt. Denn die Staatsanwaltschaft prüfe in einem gewissen Zeitabstand, ob die Verhandlungsunfähigkeit fortbesteht. Es gebe dann ein neues Gutachten und einen neuen Verhandlungstermin.

Sollte der Betreffende weitere und schwerere Straftaten begehen, kann er laut Potzel in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden. Besonders dann, wenn er als gemeingefährlich einzustufen ist.