Kulmbach schrieb Geschichte: Dixie, Durst und DDR
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Montag, 05. November 2018
Vor 30 Jahren eine Sensation: Warum sich für 500 Kulmbacher im Sonderzug nach Dresden schon 1988 der Eiserne Vorhang öffnete. Die Tagesreise war hochpolitisch und feucht-fröhlich.
Um vier Uhr in der Früh fuhr der Zug vom Kulmbacher Bahnhof ab. Reiseziel Dresden, DDR. Damals, vor 30 Jahren, war die Sachsenmetropole an der Elbe für Otto-Normal-Bürger der BRD unbekanntes Terrain. So fremd wie eine Bahnstation hinter dem Ural. Kein Wunder, denn der Eiserne Vorhang teilte Deutschland von der Ostsee bis zum Frankenwald. Im Arbeiter- und Bauernstaat regierten Erich Honecker und die SED, die ihre Bürger eingemauert hatten.
Aber 500 Kulmbacher im Dixie-Express schafften es, dass die DDR-Stacheldrahtgrenze ein bisschen durchlässiger wurde. Als sich der Sonderzug am 6. November 1988 in Bewegung setzte, ahnte freilich keiner etwas von den epochalen Ereignissen, die nur ein Jahr später das Zeitalter des Kalten Kriegs beenden sollten.
"Der Anfang vom Untergang"
Der Fall der Mauer war noch undenkbar. Oder doch nicht? Der Keyboarder der Old Beertown Jazzband, Ruprecht "Doc" Konrad, erinnert sich an gewisse Vorahnungen. "Das war der Anfang vom Untergang der DDR. Dachten wir. Und bald danach kam auch die Wende", so der damalige Kulmbacher Kulturreferent, dessen Stelle inzwischen wegrationalisiert wurde.
Den Blick hinter die Mauer ermöglichte eine deutsch-deutsche Musikerfreundschaft, die 1987 bei einem Konzert im Kulmbacher Vereinshaus geschlossen worden war: zwischen der Kulmbacher Old Beertown Jazzband und der Dresdner Semper House Band mit Musikern der Staatskapelle Dresden und dem damals schon berühmten Opernsänger und TV-Entertainer Gunther Emmerlich.
Kulmbacher betraten Neuland
Die fränkischen Jazzer fassten den kühnen Plan, ihre Kollegen in Dresden zu besuchen. Daraus wurde ein kompletter Sonderzug, der für eine Tagesreise von West nach Ost fuhr. "So was gab es vorher nicht", sagt Stefan Schaffranek, dessen Reisebüro als eines der wenigen mit dem staatlichen Reisebüro der DDR zusammenarbeitete und einen enormen organisatorischen Aufwand zu schultern hatte.
Also Sponsor gewannen die Musiker die Reichelbräu. "Wir haben uns gern mit einem fünfstelligen Betrag beteiligt", so der damalige Brauereichef Gert Langer. "Wir waren sehr aktiv in der Kulturförderung, und es passte in unser Marketingkonzept: Reichelbräu verbindet."
Von der Stasi ständig überwacht
Die Stimmung im Zug war euphorisch, die Tagesreise hochpolitisch. Der Klassenfeind, der waggonweise anrückte, blieb nicht unbeobachtet. "Doc" Konrad fielen auffällig unauffällige Männer mit Jeans und grauen Lederjacken auf, die keiner kannte. "Wir wurden ständig überwacht", betont Beertown-Bassist Konrad Fischer-Andreassohn. Bereits in Kulmbach seien Stasi-Leute zugestiegen.