Kulmbach: Politkrimi im Zeichen der Burg
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Mittwoch, 21. Oktober 2020
Heute wird wieder über die Erschließung der Plassenburg diskutiert: Buchwaldstraße oder Schwebebahn? Vor 25 Jahren war die Debatte um die Standseilbahn auch ein politischer Machtkampf.
Die Planung lag fix und fertig in der Schublade. Das Großprojekt sollte eine Megaförderung bekommen: 85 Prozent der geschätzten Baukosten von 12 bis 13 Millionen Mark. Auch das Ergebnis der Erkundungsbohrungen war vielversprechend. "Gute Voraussetzungen" für den Tunnelbau zur Plassenburg stellte Klaus-Hermann Hofmann fest. "Ich denke, dass der Hang stabil ist", sagte der Geologe und WGK-Stadtrat im August 1993 über die Bodenverhältnisse am Festungsberg. Alles klar also? Nein, denn zwei Jahre später kam das Aus. Die unterirdische Standseilbahn wurde nie auf die Schiene gestellt.
Warum wurde vor 25 Jahren das Projekt beerdigt, mit dem man neue Wege bei der Verkehrserschließung der Plassenburg gehen wollte? Zeitungsberichte aus der Zeit - die Rundschau war voll davon - sprechen eine klare Sprache: Es war ein politischer Machtkampf. Im Stadtrat ging es hoch her. Ein Politkrimi im Zeichen der Burg.
Drei Marschrichtungen
Heute wird wieder darüber diskutiert, wie Menschen - vor allem Touristen - auf die Plassenburg kommen. Wieder prallen die Meinungen aufeinander. Die Schlösserverwaltung möchte eine drei Kilometer lange Asphaltpiste vom ehemaligen Gasthaus "Waldschlössla" durch den Buchwald bauen. Deren Präsident Bernd Schreiber bezeichnet die Straße als alternativlos. Dagegen laufen viele Kulmbacher Sturm. Eine Straße ist auch mit Oberbürgermeister Ingo Lehmann (SPD) nicht zu machen. Er meint, dass der Pendelbus gut funktioniert. Eine dritte Gruppe, die immer größer zu werden scheint, träumt von der Renaissance des Seilbahngedankens. Man wünscht sich eine Gondelbahn, deren Passagiere vom Grünwehr zur Burg schweben.
Anfang der achtziger Jahre zeichnete sich folgende Problematik ab: Die immer größer werdenden Reisebusse kommen nicht mehr durchs enge Burgtor und können auch beim Schatz-Parkplatz nicht wenden. Außerdem sickerte durch, dass die Schlösserverwaltung den Kasernenhof aus Denkmalschutzgründen für Pkw sperren will.
Bahn soll oberirdisch fahren
Der drohende Super-GAU für die Hohenzollernfestung rief Horst Uhlemann († 2011) auf den Plan. Der Rundschau-Verleger und Mäzen, der Unsummen in die Plassenburg gesteckt hat, zauberte 1984 einen visionären Vorschlag aus dem Hut: eine Standseilbahn, die oberirdisch und auf Schienen Passagiere vom Anwesen Grünwehr 30 nach oben zum Roten Turm (Nordostecke der Burg) transportieren sollte.
Mit Herzblut trieb Uhlemann seine Idee voran. In Graz, Salzburg und Baden-Baden führte der CSU-Stadtrat seinen Kollegen vor, was man sich unter einer Standseilbahn vorzustellen hat. Aber die oberirdische Streckenführung mit einer Schneise im alten Baumbestand traf auf großen Widerstand in der Bevölkerung. Die Aktion "Rettet den Burgberg" bildete sich, und das Projekt war nicht durchsetzbar.
Der Vereinsvorsitzende der Freunde der Plassenburg verlegte sich auf die unterirdische Variante, Bergstation nun im Pfauengarten. Von einer Beeinträchtigung des Gesamtensembles Plassenburg war keine Rede mehr. Die Rahmenbedingungen - siehe oben - passten. An der Stadt sollten höchstens 2,5 Millionen Mark der Baukosten hängenbleiben. Im Stadtrat gab es breite Zustimmung. Befürworter der U-Bahn waren OB Erich Stammberger (WGK/†), CSU und WGK fast komplett und mehrheitlich auch die SPD, die noch eine Hauptrolle spielen sollte.
1990 bezeichnete es die SPD als "ökologisch sinnvoll und wirtschaftlich vertretbar", mit der U-Bahn zur Plassenburg zu fahren. Auch beim Grundsatzbeschluss des Stadtrats, das Vorhaben durchzuziehen, waren die meisten Roten im Dezember 1992 noch dabei.
Gegen Luxusprojekt
Ein Jahr später aber schwenkte die SPD um. Die Fraktion argumentierte, dass die Bahn bei knappen Kassen ein Luxusprojekt sei. Kulmbach könne sich in Zeiten wirtschaftlicher Rezession und rückläufiger Steuereinnahmen auch die Folgekosten durch den Betrieb der Bahn nicht leisten.
Doch die Mehrheit für die Standseilbahn stand - immer noch.
Die SPD-Stadträte Peter Pöhlmann und Jürgen Kohlberger blieben bei der Stange und scherten aus ihrer Fraktion aus. Aber der Stadtrat fasste weiterhin nur Grundsatzbeschlüsse und keinen konkreten Baubeschluss. So wurde das Vorhaben in den OB-Wahlkampf 1994 hineingezogen. Herbert Münch (SPD/†) gab dem Oberbürgermeister die Schuld, sonst "wäre die Standseilbahn in den Jahren der besseren Finanzen schon längst gebaut worden".
OB-Kandidatin Inge Aures (SPD) kündigte an, an allen Fronten zu kämpfen, um das Projekt zu verhindern. Damit gewann sie die Wahl und zog im Januar 1995 als Oberbürgermeisterin ins Rathaus ein.
High Noon im Februar
Die entscheidende Abstimmung fand am 16. Februar 1995 statt: High Noon im Haus des Handwerks. Vor der Abstimmung über die Baugenehmigung für die Berg- und Talstation verließ Projektgegnerin Eleonore Hohenberger (CSU/†) den Saal. Auch Pöhlmann und Kohlberger stimmten nun erstmals mit der SPD-Fraktion. Es gab ein Patt: 15:15 - damit war der Antrag abgelehnt. Knapper geht"s nicht.
Pöhlmann erklärte in der berühmten Sitzung, dass er und Kohlberger die Meinung der Bevölkerung und das klare Ergebnis der OB-Wahl nicht hätten ignorieren können. Seit Jahren mit der absoluten Mehrheit ausgestattet, habe "die rechte Seite im Stadtrat versagt".
Förderantrag zurückgezogen
Im Mai 1996 beschäftigte sich der Stadtrat letztmals mit der Standseilbahn. Der Förderantrag wurde offiziell zurückgezogen. Am Schluss meinte Stefan Schaffranek (WGK): Die Bahn sei an "parteipolitischem Denken" gescheitert. Kommentar von Horst Uhlemann, der ein paar Jahre später zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wurde: "Das ist ein schwarzer Tag für Kulmbach." Er sprach von einem "Bumerang, der auf die Stadt und den Stadtrat zurückfallen wird".
Kommentar von Stephan Tiroch: Andere Burgen machen es vor
Richtige Entscheidung, Chance vertan - in das gescheiterte Standseilbahnprojekt vor 25 Jahren kann man fast alles hineininterpretieren, was man möchte. Erlaubt ist nach wie vor: nachdenken über die Erschließung der Plassenburg. So gesehen wählt die Schlösserverwaltung den falschen Ansatz, wenn sie alles ausschließt außer der in Kulmbach ungeliebten Buchwaldstraße.
Seit damals hat sich viel getan, um das Problem der allermeisten Burgen zu lösen: Sie haben den Nachteil, dass sie fast immer schwierig zu erreichen sind. Früher ein Vorteil, um Schutz und Sicherheit bieten zu können - heute ein Nachteil. Deshalb wurden innovative technische und architektonisch hochwertige Lösungen entwickelt.
In Koblenz schwebt man über den Rhein, um auf die Festung Ehrenbreitenstein zu kommen. In Ljubljana (Slowenien) fährt eine modern und unaufdringlich gestaltete oberirdische Standseilbahn von der Altstadt auf den Berg und kommt mit wenig Platz aus. In Bellinzona (Tessin) oder in Altena (Sauerland) transportiert ein Lift im Berginneren die Besucher nach oben.
Apropos Altena: Dort haben sich mit Eröffnung des Erlebnisaufzugs 2014 - Baukosten 5,12 Millionen Euro - die Besucherzahlen mehr als verdoppelt: von 24 000 auf 56 000 im Halbjahresvergleich. Die Tourismusmanager im Märkischen Kreis reiben sich die Hände.
Kulmbach - Burgberg - Bierkeller: Da war doch was? Gibt es einen geeigneten Bierkeller als Zugang zu einem Aufzug wie in Altena. Müsste man untersuchen. Wahrscheinlich ist eine 85-Prozent-Förderung aus einem einzigen Programm wie damals nicht mehr zu bekommen. Aber vielleicht lassen sich mehrere Töpfe anzapfen: für die Talstation, für den Lift und für die Bergstation. Und Geld sollte trotz Corona vorhanden sein: Denn die von der Schlösserverwaltung bevorzugte Buchwaldstraße gibt"s auch nicht für umsonst. Die drei Kilometer dürften einen zweistelligen Millionenbetrag kosten.
Bürgerwille oder Chance vertan?
Wie denken die Akteure, die damals im Stadtrat saßen, heute über die Standseilbahn?
MdL Inge Aures (SPD) ist nach wie vor überzeugt, dass der Bürgerwille umgesetzt wurde. "Damit habe ich die OB-Wahl gewonnen. Die Menschen wollten die Standseilbahn nicht haben", sagt sie. Am wichtigsten sei für sie immer gewesen, die Touristen in die Kernstadt zu lotsen, "damit Handel und Gastronomie etwas davon haben". Nachdem andere Lösungen abgelehnt wurden, sei der Buspendel eingeführt worden, der zu ihrer Zeit als Oberbürgermeisterin (1995 - 2007) "super gelaufen" sei.
Neuerliche Seilbahnpläne könne sie nur befürworten, "wenn Ein- und Ausstieg in der Innenstadt ist".
Stadtrat Stefan Schaffranek (WGK) sagt: "Ich habe die Entscheidung sehr bedauert." Der ganze Aberwitz werde daran deutlich, dass die Stadt ihren Eigenanteil in Höhe von 2,5 bis drei Millionen Mark, die man einsparen wollte, bereits ausgegeben hatte - für Planungskosten und Grundstückskäufe. Sollte eine Seilbahnprojekt jemals wieder auf den Tisch kommen, "unterstütze ich jede Bemühung, wenn Ein- und Ausstieg am richtigen Platz ist".
Stadtrat Lothar Seyfferth (CSU) glaubt: "Damals wurde eine historische Chance vertan." Von der Buchwaldstraße hält er gar nichts und meint: "Wenn die Förderung passt, sollte man sich des Themas Schrägaufzug oder Seilbahn zur Plassenburg wieder annehmen."
Volker Wack (Die Grünen) war ein erklärter Seilbahngegner, aber nicht weil der Burgberg verschandelt worden wäre, sondern weil man ÖPNV-Mittel zweckentfremdet hätte - in einer Zeit, als es in Kulmbach so gut wie keinen ÖPNV gegeben habe. Heute hätte er nichts gegen eine "pfiffige Idee", gegen eine Schwebebahn oder einen Lift. "Aber was will ich auf der Burg, wie sie heute ist? Die Museen sind zum Teil peinlich, ein Gruselkabinett", so der ehemalige Stadtrat. Zunächst brauche man Fachkräfte, gute Ideen und Geld, um die Ausstellungen aufzuwerten. "Da muss etwas passieren." Das Potenzial der Burg "mit ihrem wunderschönen Ambiente" werde nicht genutzt.