Kulmbach als Stadt der Fleischforscher
Autor: Alexander Müller
Kulmbach, Dienstag, 05. Mai 2015
Die Kulmbacher Woche, die gemeinsam vom Max-Rubner-Institut und der Stadt Kulmbach organisiert wird, findet zum 50. Mal statt. Beim Auftakt fand Ministerialdirigent Eckard Engert deutliche Worte zur Zukunft der Ernährung.
Was in den 80er-Jahren als erste große Welle begonnen hat, muss heute sogar von multinationalen Konzernen ernst genommen werden - der Verbraucher ist viel kritischer und denkt mehr über seine Ernährung nach, fordert beispielsweise regionale Lebensmittel. Eckard Engert, Ministerialdirigent aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, weiß, wovon er spricht.
Der gebürtige Volkacher, der in seinem Haus für die Agrarmärkte zuständig ist, erinnerte sich vor den versammelten Fachleuten am Montag beim Empfang zur 50. Kulmbacher Woche auf der Plassenburg an die Zeit, als die "Fleischindustrie aufgewacht" sei - konfrontiert mit Fortschritts-Zweifeln, einem Fragezeichen hinter dem Prinzip Wachstum sowie Überlegungen in Richtung Umwelt, Tierschutz und Ethik.
70 hochqualifizierte Jobs
Heute gehe der inländische Fleischkonsum zurück - vegetarische und vegane Ernährungsangebote nähmen deutlich zu. Aktuell werde diese Entwicklung noch vom Export aufgefangen, gleichwohl "müssen wir solche Dinge ernst nehmen", unterstrich der Unterabteilungsleiter aus Bonn.
Auch Gerhard Rechkemmer, Präsident des Max-Rubner-Instituts (MRI), das in seiner Kulmbacher Niederlassung 70 hochqualifizierte Arbeitsplätze vorhält, spürt das große Interesse auch an anderen Lebensmittel-Themen, wie er sagt. Bei der Milch gehe es um Unverträglichkeit, bei Gluten um Gesundheits- und Sicherheitsfragen.
In den Medien spiele die vegane Ernährung tatsächlich eine große Rolle - obgleich nur 0,3 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung aktuell darauf setze. "Aber", betonte der MRI-Präsident, "wir müssen uns dem stellen." Gleichwohl sei für Medien wie Entscheider gleichermaßen wichtig, dass man solchen Fragen nur begegnen könne, wenn man eine wissenschaftsfundierte Basis habe.
Wie wichtig Fleischforschung sei, zeigten aktuelle Zahlen. Wolle man mit der derzeitigen Art der Fleischproduktion alle Menschen auf dem Niveau Westeuropas ernähren, bedürfe dies erheblicher Ressourcen - die Rede sei von 1,5 bis 2,0 Erden, die die Menschheit nicht habe. Auf der anderen Seite habe die Herstellung eines Hamburgers aus Retortenfleisch rund 250 000 Euro gekostet.
Auf die Wichtigkeit der Einrichtung Max-Rubner-Institut für Kulmbach ging Oberbürgermeister Henry Schramm (CSU) ein. Die Verlagerung der Reichsanstalt für Fleischwirtschaft vor über 70 Jahren sei "ein echter Glücksfall für Kulmbach" gewesen.
"Wir haben am Standort Kulmbach eine gelungene Symbiose aus Forschung, Lehre und Praxis, die deutschlandweit sicherlich außergewöhnlich ist", unterstrich Schramm.
Stolz auf MRI-Standort
Regierungs-Vizepräsidentin Petra Platzgummer-Martin betonte, dass Oberfranken stolz auf den MRI-Standort Kulmbach sei. Heute sei es wichtiger denn je, die Belange des Tierschutzes entlang der Lebensmittelkette zu berücksichtigen. Insofern stimme sie dem gut formulierten Slogan des Landwirtschaftsministeriums zu, wonach mehr Tierwohl eine Frage der Haltung sei.
Der Empfang wurde vom Kulmbacher Kammerorchester unter der Leitung von Thomas Grünke umrahmt, Solistin war Marion Schmid (Sopran).
Geschichte des MRI-Standorts Kulmbach
1938 In Berlin wird die "Reichsanstalt für Fleischwirtschaft" gegründet.
1944 Die Reichsanstalt muss wegen des Kriegs verlagert werden. Anstelle von Bromberg oder Gera wird Kulmbach dank des Entgegenkommens der Fleischwarenfabrik Sauermann als Ausweichquartier ausgewählt. Nach Kriegsende wird das Behelfslabor in der Sauermann-Villa als "Bakteriologisch-chemisches Institut, Kulmbach" weitergeführt.
1960 Weil die Räume zu klein werden, beschließt der Haushaltsausschuss des Bundestags die Verlegung der Bundesanstalt für Fleischforschung (BAFF) nach München.
1966 Der Bundestag revidiert - nach Intervention u.a. von Staatssekretär Karl Herold (SPD) - seinen Beschluss und ist für einen Neubau in Kulmbach. Der Stadtrat (unter OB Murrmann, FW) stellt kostenlos ein voll erschlossenes Baugelände in der E.-C.-Baumann-Straße zur Verfügung und verpflichtet sich, Tür an Tür mit der BAFF einen neuen Schlachthof zu bauen.
1972 Die Grundsteinlegung der neuen Bundesanstalt erfolgt, fünf Jahre später wird der Neubau offiziell eingeweiht.
1995 Das Rahmenkonzept zur Neuordnung der Bundesforschungsanstalten facht die Standortdiskussion erneut an.
1996 Der BAFF-Personalrat übergibt in Bonn 18 000 Kulmbacher Unterschriften zum Erhalt der Bundesanstalt.
2000/2005 Die Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) und Renate Künast (Grüne) geben Bestandsgarantien ab.
2010 Bundesministerin Ilse Aigner (CSU) verkündet die Einrichtung eines Internationales Kompetenzzentrums für Fleischqualität am MRI.