Katastrophe im Bahntunnel: Megaübung klappt perfekt
Autor: Markus Häggberg
Nedensdorf, Sonntag, 24. Sept. 2017
Die äußerst realistische Katastrophenübung im Bahntunnel Eierberg klappte reibungslos. Damit kann der Fahrbahnwechsel kommen.
Hilferufe aus dem Dunkel, gellende Schreie aus dem Rauch heraus, blutende Menschen, die auf Rettung und Versorgung warteten. Es waren furchtbare Szenen, die sich in der Tiefe des Bahntunnels Eierberge abspielten. Die sehr realitätsnahe Katastrophenübung am Samstag band rund 650 Einsatzkräfte und an die 200 Fahrzeuge.
Neugierige und fragende Blicke entlang der Dorf- und Zugangsstraßen zum Geschehen. Menschen wunderten sich über das Aufgebot all der Fahrzeuge, deren Martinshörner zu hören waren oder die mit Blaulicht an ihnen vorbeifuhren, staunten über den Helikopter der Bundespolizei.
Schweres Gerät, unterwegs wegen eines Szenarios, das lange vorbereitet war: ein Zug, der in einem Tunnel brennend und qualmend zum Stehen kommt, mit verletzten Fahrgästen, die vor lauter Rauch nicht zu sehen und darum nur schwer zu retten sind.
Mit dem im Dezember anstehenden Fahrplanwechsel wird die Deutsche Bahn auch die für Hochgeschwindigkeit ausgelegte Neubauteilstrecke Erfurt-Ebensfeld des Verkehrsprojekts Deutsche Einheit (VDE) mit all ihren Tunnels in Betrieb nehmen. Doch ohne eine Katastrophenvollschutzübung großen Ausmaßes darf sie es nicht. 22 Tunnels liegen entlang der Strecke auf thüringischer und bayerischer Seite - das macht genauso viele Übungen notwendig.
Und so rückten sie an, die Feuerwehren aus den Landkreisen Lichtenfels, Coburg und Sonneberg, das BRK aus selbigen Kreisen, das THW (Technisches Hilfswerk) und Kräfte der Polizei. Sie verteilten sich strategisch auf fünf Rettungsplätzen, auf Sammel- und Bereitstellungsplätzen. Alles unter Beobachtung auch von Journalisten der ARD und der Süddeutschen Zeitung.
90 Stufen ging es den Treppenschacht hinunter, dorthin, wo sich die schweren Schleusentüren zum Tunnelzugang befinden. Diese Strecke werden Feuerwehrrettungskräfte im Ernstfall in voller Montur mit Atemschutzgerät zurücklegen. Eine körperliche Tortur, erst recht mit zu tragenden Opfern und bei Rauch. Der Aufstieg an anderer Stelle wird gar 170 Stufen
beinhalten. Es ging durch Schleusen und letztlich auf eine 3765 Meter lange Tunnelstrecke, auf der ein Zug liegen geblieben wa.
Die Tunnelwelt ist beeindruckend, ausgelegt für einen Begegnungsverkehr mit Geschwindigkeiten von 300 Stundenkilometern mit Schleusen und Löschwasserleitungen. Doch vor allem Weite und Ausmaß sind beeindruckend. Dann hört man die Schreie, sie kommen aus östlicher Richtung, so weit entfernt, dass der Zug schwer zu erkennen ist. Als die
Übungstrupps und Manöverbeobachter, unter ihnen lokale Politprominenz, eintreffen, wird schnell klar: Im Ernstfall bedeutete das sich bietende Bild eine Katastrophe, bei der man mitunter - Disco-Nebel macht's möglich - die Hand vor Augen nicht sieht.
101 Fahrgäste und unter ihnen 27 Verletzte: Frauen mit schwer blutenden Kopfwunden, Männer mit Splittern, die ihnen im
Leib stecken. "Wir sind spielen mit", so Bundespolizeihauptkommissar Fabian Hüppe über die Statistenrolle der Polizeischüler.
Hinter all dem Geschehen stehen in besonderer Weise zwei Männer: Stefan Zapf und Marc Stielow, der eine Franke, der anderer Thüringer, der eine Kreisbrandinspektor, der andere Oberbrandrat im thüringischen Innenministeriums. Über vier Jahre entwickelten die beiden Männer bis 2015 ein Rettungskonzept für Zugbrände in Tunnels. "Manchmal tauschten wir uns zweimal, manchmal viermal im Monat aus", so Zapf. Sie riefen auch Arbeitsgruppen ins Leben, um die Ideenfindung "auf viele Schultern zu verteilen".
Wie sind die Schienen für Rettungsmaterial und Abtransport Verletzter zu nutzen? Wie baut man Patientenablageplätze auf? Wie lassen sich Kräfte reibungslos an die Einsatzstelle heranführen? Zapfs und Stielows Überlegungen sind strategischer und taktischer Natur, berücksichtigen den Einsatz von Atemschutz, Lösch- und Warngeräten und haben Tunnelbasiseinheiten herausgebildet.
Geprobt wurde der Ernstfall von ehrenamtlichen Feuerwehrleuten aus den Landkreisen auch - in der Schweiz. Dort gibt es eine Akademie dafür, mit Tunnels und echten Bedingungen. "Das war echte, harte Arbeit", wie sich Zapf erinnert. Zu dem Gesamtkonzept gehört auch das Ausbilden von Multiplikatoren unter den Feuerwehrleuten, Männern und Frauen, die ihr erlerntes Wissen weitergeben.
Denn eines scheint festzustehen: Ohne Ehrenamt ist ein Ernstfall nicht zu bewältigen. Das scheint der DB-Netz AG auch etwas wert zu sein. Ein Sprecher der Bahn, der namentlich nicht genannt werden wollte, erklärte hierzu: "Entlang der Neubaustrecke sind in Thüringen und Bayern elf Feuerwehrautos und Atemschutzausrüstungen von der Bahn für Feuerwehren bezahlt worden."
Nach über vier Stunden dann aus dem Leitstand im Bad Staffelsteiner Feuerwehrhaus die Manöverkritik von Kreisbrandrat Timm Vogler: "Die Übung hat ohne Beanstandung geklappt!"