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Kahlschlag in Kulmbach für ein Kaufhaus


Autor: Wolfgang Schoberth

Kulmbach, Freitag, 05. Mai 2017

Vor 50 Jahren wurde ein Stück Alt-Kulmbach dem Erdboden gleich gemacht. Und (fast) alle haben applaudiert.
Ecke Schießgraben/Langgasse: Zwei Altbauten - die "Löwenschänke" und das Hotel "Zur goldenen Krone" (rechts) werden vor 50 Jahren abgebrochen. Sie müssen Platz machen für einen Konsumtempel inmitten der Stadt. Foto: Stadtarchiv Kulmbach


Ein heiliger Zorn muss ihn gepackt haben. Am 23. April 1967 steigt er aus dem Auto, stellt seinen Hocker am Fuß des Schießgrabens auf und wirft mit rascher Feder ein modernes Sodom und Gomorrha aufs Blatt: Ungetüme von Lastwägen, Baggern und Bulldozern, die sich in die alte Bausubstanz fressen. Um sie herum Strichmännchen, die das Zerstörungswerk gefügig verrichten. Ein gespenstisches Szenario wie in einem Stummfilm der zwanziger Jahre.

Vor 50 Jahren ist Max Wild einer der wenigen, die den Kahlschlag an der Ecke Langgasse/Schießgraben, das Wegfegen der "Löwenschänke" und des Hotels "Zur Goldenen Krone", als Verlust eines Stückes von Alt-Kulmbach empfunden haben. Der Zeitgeist verlangte den Abbruch alter Gemäuer und schicke Neubauten, Kaufhäuser vor allem, statt traditioneller Einzelhandelsgeschäfte.


Klein-Berlin in Kulmbach

Was entstehen soll und im Oktober 1967 Richtfest feiert, ist das Kaufhaus der Mitte. In seiner Kurzform KDM spielt es an auf das Berliner KaDeWe, dem Synonym für westlichen Lifestyle, für Luxus, Mode, gigantisches Warensortiment. Es ist kaum zu glauben, wie begeistert Kulmbachs Rathaus-Politiker einem Bauprojekt zugestimmt haben, das sich zwanzig Jahre später als Schandfleck und Fehlplanung erweist.

Bedenken des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, damals noch ohne Bindewirkung, werden von den Verantwortlichen milde belächelt und hinweggefegt. Der Kulturreferent und Heimatpfleger Hans Stößlein, der die Bauwut heftig kritisiert, gilt als Modernisierungsverweigerer. Besonders unter Beschuss steht Oberstadtbaurat Fritz Kerling (1910 - 1985), als Schüler Heinrich Tessenows ein Vertreter der sogenannten bodenständigen Reformarchitektur. Er verliert die Kraft, sich gegen die selbsternannten Fortschrittsjünger zu stemmen.


Die erste Rolltreppe

Das KDM wird allseits als Vorzeige-Kaufhaus der modernen Zeit hochgejubelt (Architekt: Heinz Liebermann, Coburg). Nüchtern betrachtet, und in späterer Zeit von jedermann so gesehen, ist es ein hässlich-monströser Zweckbau, der nur notdürftig durch eloxierte Fassadengitter und ein Schieferdach mit einigen Gauben verhübscht ist. Die Eröffnung Ende März 1968 wird durch die örtliche Presse und den Kaufhauskonzern WEKA als Hype inszeniert. Busse und Sonderzügen werden eingesetzt, um den Ansturm zu bewältigen. Tausende quetschen sich durch die drei Etagen mit 2700 Quadratmetern Verkaufsfläche und das Dachcafé mit Panoramablick auf Alt-Kulmbach. Die Hauptattraktion ist eine zweispurige, verglaste Rolltreppe - die erste in der Stadt.

Für einige entfesselte Rathauspolitiker sollte das KDM nur der erste Schritt sein. Heute wird einem schwindlig, was alles unter dem Etikett eines "verkehrsgerechten Ausbaus" und der "Flächensanierung" ins Auge gefasst worden ist.


Rettet den Schießgraben

Angedacht war: Der Oberhacken, einschließlich des historischen Badhauses, sollten abgerissen werden, um "moderne" Hochbauten zu errichten. Ebenso die schwer marode Fischergasse, um sie zur Umgehungsstraße auszubauen. Ein weiterer Vorschlag sah den rechtsseitigen Abbruch des Kressenstein vor, um den Pkw-Verkehr über die Basteigasse zum Schießgraben zu leiten. Der schmale Pflasterweg sollte teilweise untertunnelt, begradigt, und verbreitert werden - nur so erhielte man Zuschüsse aus der Städtebauförderung des Bundes.

Zum Glück für das mittelalterliche Stadtbild formierte sich Widerstand in den eigenen Reihen, vor allem auch in der Öffentlichkeit. Angeführt wurde der Protest von der 1978 ins Leben gerufenen Bürgerinitiative "Rettet den Schießgraben", die auch von Künstlern wie Max Wild und Hans Lewerenz unterstützt wurde.


Ein Abrisskandidat

Wie rasch in der Euphorie der sechziger Jahre entstandene Bauten selbst zu Abrisskandidaten werden können, dafür gibt es kein besseres Beispiel als das KDM: Schon 20 Jahre später gerät das Einkaufsmekka von einst in eine Dauerkrise: Wechsel der Eigentümer, Insolvenzverfahren, Leerstände, galoppierender baulicher Verfall. Nachdem in den Jahren nach 2007 mehrfach Zwangsversteigerungstermine beim Amtsgericht Bayreuth platzen, droht der Abbruch.

Doch für viele überraschend, findet sich 2011 ein neuer Investor. So ist das das Gebäude an der Ecke Schießgraben/Langgasse durchgreifend saniert und in ein Geschäftshaus mit Büros, Wohnungen und Verkaufsräumen umgebaut worden.


Noch eine Sünde

Nahezu zeitgleich mit dem KDM wird ein zweites Kaufhaus in der Innenstadt errichtet: der Billig-Sortimenter Woolworth. Seinetwegen wird der Saalbau Wittelsbach, ein Palais im Rokokostil und gesellschaftlicher Mittelpunkt Kulmbachs bis in die zwanziger Jahre, geopfert. Ein Bericht folgt.



INTERVIEW: Gravierende städtebauliche Fehlentwicklung

Im Interview mit einer 10. Klasse des MGF-Gymnasiums äußert sich Hauptkonservator Ulrich Kahle vom Landesamt für Denkmalpflege, Schloss Seehof bei Bamberg, zum KDM.

Herr Kahle, wie schätzen Sie die architektonische Qualität des früheren Kaufhauses der Mitte ein?
Ulrich Kahle: Recht gering! Das KDM ist eine auf mittelfristige Rendite angelegte Kommerzarchitektur ihrer Zeit. Und das KDM ist an dieser Stelle seit seiner Errichtung eine gravierende städtebauliche Fehlentwicklung! Ich hätte als verantwortlicher Denkmalpfleger oder Städtebauer dazu nie meine Hand gereicht.

Hätte das Landesamt - bei heutiger Rechtslage - sein Einverständnis für den Abbruch der Vorgängergebäude, des Hotels "Zur goldenen Krone" und der "Löwenschänke", gegeben?
Nein, vermutlich nicht. Das KDM ist ein spätes Kind des Wirtschaftswunders: Kaufhäuser entstanden in Groß- wie auch in Kleinstädten ohne Rücksicht auf städtebauliche Verluste, so auch in Kulmbach. Das KDM ist ein reiner Zweckbau mit vorgeblendeter zeitgenössischer Konsumtempel-Fassade. Das KDM war aus der Sicht der damaligen Sicht der Stadtväter "Fortschritt" und "Modernität". Die bescheidenen Häuschen an dieser Stelle, "muffige Altbauten" aus dem 18. und 19. Jahrhundert, waren schnell abgebrochen.