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"Jute" Miene zum Plastikspiel: der Trage-Test


Autor: Jochen Nützel

Kulmbach, Mittwoch, 15. Juni 2016

Die Einführung einer Gebühr auf jede Plastiktüte stößt bei vielen Kunden auf Verständnis, einige Händler verzichten bereits auf die Beutel.
Waldorflehrerin Nadine Bergner (rechts) bringt für ihren Einkauf bei Naturkost Unger in Veitlahm stets ihren Stoffbeutel mit. Mitarbeiterin Elisabeth Lindner weiß: Die Kunden sind sehr umweltbewusst.  Foto: Jochen Nützel


Lotte Kohles geht nie ohne aus dem Haus. "Sie begleitet mich schon lange." Die Bad Berneckerin grinst und schielt auf ihre beige Baumwolltüte. Ein leicht verblasster Elefant hebt seinen Rüssel, der Schriftzug der Umweltorganisation WWF mit dem Pandabären im Logo prangt darüber. "Nicht so genau hinschauen, die hat schon Flecken." Im Tragerl verschwinden jetzt Lauchzwiebeln, ein Bund Möhren, zwei Äpfel und vier Joghurtbecher, Geschmacksrichtung Vanille und Erdbeere. "Da sind mir neulich welche ausgelaufen, daher kommen die unschönen Ränder. Die gingen auch beim Waschen nicht mehr raus, aber egal."
Den Beutel einmotten und dafür einen aus Kunststoff verwenden? Das kommt der umweltbewussten Mittfünfzigerin nicht in die Tüte. Deswegen findet sie auch lobenswert, dass der Supermarkt ihres Vertrauens die Tragetaschen aus dem Sortiment verbannt.

"Rewe ist vorbildlich mit dieser Aktion", sagt Lotte Kohles und signalisiert ein "Daumen hoch" für den Einkaufsmarkt in der Lichtenfelser Straße in Kulmbach.


600 Tüten pro Woche

Das freut Marktleiterin Jutta Hollweg. "Monatlich sind bei uns bis zu 1500 Plastiktüten in verschiedenen Größen rausgegeben worden - das macht in einem Jahr 18 000 Stück, eine gigantische Menge", sagt die selbstständige Kauffrau.
Diese Zahlen sind Ende des Monats Geschichte, denn: Als erster großer deutscher Lebensmittelhändler stoppt der Kölner Handelsriese in seinen Supermärkten komplett den Verkauf der umweltschädlichen Tragehilfen. Den Kunden werden alternativ Tragemöglichkeiten aus Papier und Karton sowie eine sogenannte Permanent-Tasche aus Recyclingmaterialien angeboten. Wer möchte, bekomme auch Stoffbeutel.


Hygienegründe sprechen dagegen

Im Edeka in Neuenmarkt gibt es noch Plastiktüten für den Einkäufer. Zwischen 10 und 15 Cent nimmt der Markt dafür, bekundet Inhaber und Marktleiter Thomas Föhn. Nie ganz ohne Tüten auskommen wird die Obst- und

Fleischwarenabteilung, wie Metzgermeister Thomas Kintzel erläutert. "Bei uns stehen die Hygienevorschriften über allem. Ich kann zwar Papiertücher verwenden, aber nicht bei gewissen Artikeln wie etwa eingelegten Steaks - die würden die im Nu durchweichen

und das darf natürlich nicht sein." Wie es aber mit der Plastiktüte bei Edeka weitergeht? Da verweist man seitens der Markt- auf die Konzernleitung.
Die für Nordbayern zuständige Regionalgesellschaft aus Rottendorf verschickt dazu auf BR-Anfrage eine Pressemitteilung. Darin heißt es: "Edeka hat sich verpflichtet, den Verbrauch von Plastiktüten deutlich zu reduzieren. Viele Kaufleute verzichten heute bereits komplett auf Plastiktüten. Wir bieten den Kunden zahlreiche ökologisch vorteilhafte Alternativen. Darüber hinaus werden wir unser


gesamtes Angebot an Kunststoff-Tragetaschen bis zum Herbst auf umweltfreundlichere Produkte mit dem ,Blauen Engel' umgestellt." Diese Taschen stammten zu mindestens 80 Prozent aus recyceltem Material, schreibt das Unternehmen.
Entscheidend für die Ökobilanz einer Tasche sei die Art der Nutzung, so die Edeka-Zentrake. "Wir setzen auf Mehrweg statt Einweg. Daher unterstützen wir alle Maßnahmen, um die Verbraucher zu bewegen, Mehrwegtaschen für ihren Einkauf zu nutzen." Dies sei effektiver, als Plastiktüten etwa durch Einweg-Papiertüten zu ersetzen, denn mehreren Studien zufolge haben diese keine ökologischen Vorteile gegenüber Plastiktüten.


Papiertüte nicht unbedingt besser

Das bestätigt die Deutsche Umwelthilfe. Tragetaschen aus Papier seien nicht generell besser, da für ihre Produktion besonders lange und reißfeste Zellstoff-Fasern notwendig sind, die mit Chemikalien behandelt werden müssen. Eine schlechte Option seien ferner Einweg-Plastiktüten aus nachwachsenden Rohstoffen. Auch wenn sich Hersteller bemühten, Polyethylen-Plastiktüten beispielsweise aus brasilianischem Zuckerrohr zu produzieren, sei die Ökobilanz schlechter. Der reine Pflanzenrohstoff sei zwar klimaneutral, nicht aber die rohstoff- und energieintensive industrielle Agrarwirtschaft und Verpackungsherstellung in Südamerika, zumal wenn das Zuckerrohr auf dafür gerodeten Regenwaldflächen angebaut wird. Die langen Transportwege täten ein übriges zur negativen Bilanz.
Ein ähnliches Manko weisen übrigens Behälter aus Baumwolle oder Jute auf, wie die Umwelthilfe vorrechnet. Baumwolle, Bast oder Flachs verursachen durch ihren Anbau hohe Umweltauswirkungen in den Bewertungskategorien Wasser- und Energieverbrauch, aber auch ungünstigem Nährstoffeintrag in Gewässer (Eutrophierung). Um diesen "ökologischen Rucksack" abzubauen, müsste laut Umwelthilfe ein Baumwollbeutel zwischen 25 und 32 Mal wiederverwendet werden, um besser als eine Polyethylen-Tüte aus Neugranulat abzuschneiden. Dann aber sei die Stofftasche in Sachen Nachhaltigkeit kaum zu toppen.


Alles Bio? Fast!

Wie handhabt eigentlich ein Biomarkt die Tütenfrage? Bei Naturkost Unger in Veitlahm setzt man schon lange auf Alternativen zu PET. Mitarbeiterin Elisabeth Lindner erklärt, dass die Vermeidung zusätzlicher Verpackungen aller Art der beste Ansatz sei. "Wir verkaufen unser Gemüse lose, das allein spart schon viel Plastik ein. Die Kartons von Obst und Gemüse heben wir für unsere Kunden als Transportbox auf." Zudem bietet der Markt stabile und mehrfach verwendbare Papiertüten an. Ferner gibt es kompostierbare Beutel aus Maisstärke sowie eine grüne Gemüsetasche aus Recycling-Synthetik.
Reine Plastiktüten sucht man im Markt vergebens - mit einer Ausnahme: eine Kühltasche von Ökoland aus recyceltem Polyethylen. Elisabeth Lindner weiß: "Unsere Kunden handeln seit langem umweltbewusst, auch beim Transport. Deswegen bringen die allermeisten gleich ihre eigenen Behälter mit."

Die EU-Verpackungsrichtlinie soll den Tüten-Verbrauch senken

Vereinbarung Bis Ende 2025 soll der EU-weite Verbrauch auf höchstens 40 Tüten pro Person und Jahr gesenkt werden; das ist die Vorgabe aus der neuen EU-Verpackungsrichtlinie. Zur Umsetzung der EU-Vorgaben haben das Bundesumweltministerium und der Handelsverband Deutschland (HDE) eine freiwillige Vereinbarung getroffen, dass Plastiktüten künftig nicht mehr kostenfrei über die Ladentheke gehen sollen, beispielsweise in Kaufhäusern und im Elektrohandel.

Anteil
Ohne Verwendung von Plastiktüten hätte ein Vier-Personen-Haushalt sein Müllaufkommen um 0,17 Prozent reduziert. Das ist nach Angaben der Gesellschaft für Verpackungsforschung der Anteil von Kunststoff-Tragetaschen am Restmüll - basierend auf der Annahme, dass jeder Deutsche pro Jahr 76 Plastiktüten verbraucht. Insgesamt werden in Deutschland jährlich 6,1 Milliarden Tüten in Verkehr gebracht. red