Jagdszenen auf der Luisenburg
Autor: Jochen Nützel
, Montag, 16. Juli 2012
Die Luisenburg-Festspiele stehen nicht nur für süffige Unterhaltung. In Felix Mitterers "Wast - Wohin? oder: Kein Platz für Idioten" geht es um das Ausgrenzen eines Außenseiters auf dem Dorf.
Bei den Blues Bro-thers, da steuerte die Polizei noch im Modellauto über die Bühne; 1:18 im Maßstab und leicht wie eine Salami. Bei Felix Mitterers "Wast - Wohin" haben die Theaterbretter schwerer zu tragen, und das liegt nicht allein an der harten inhaltlichen Kost. Ein echter Traktor fährt in die Naturkulisse, mehrere Fahrzeuge, ein Moped.
Und dann, ja dann macht es doch noch Tatütata. Die Polizei ist wieder da, diesmal im 1:1-Blaulicht-Käfer. Wie bei den Bluesbrüdern soll einer abgeholt werden. Einer, der nicht in die Landschaft passt, der sich strafbar gemacht haben soll. Der eine Strafe Gottes ist für seine Familie. Wohin mit Wast? Dem Idioten, der Schande, der Familie, des ganzen Ortes? Der mit dem Intelligenzquotienten von drei Metern Feldweg, wie die Dorf-Oligarchen am Karttisch meinen. Das Urteil ist schon gesprochen von denjenigen, die immer die richtige Meinung gepachtet haben. Die zwischen zwei Bier den Stab brechen über einem Menschen, der anders ist. Aber ist er deswegen auch kriminell?
Heikle Thematik
Regisseur Christoph Zauner jongliert mit dieser für das Fichtelgebirge durchaus heiklen Thematik "Behinderter begeht vermeintliches Verbrechen". Wenn Wast, dem Zurückgebliebenen, vorgeworfen wird, er habe das Nachbarsmädel Maria missbraucht: Dann ersetzt der Kopf manchen Zuschauers die beiden Namen, tauscht sie aus gegen Ulvi und Peggy. Lichtenberg auf der Luisenburg? Die Assoziation schlägt Purzelbäume, aber der Vergleich hinkt; Mitterers Stück stammt aus dem Jahr 1974 und damit aus einer Zeit weit vor dem Rätsel um ein verschwundenes Mädchen und einen Mord ohne Leiche. Es ist der Erstling des gebürtigen Tirolers, der es mittlerweile zum Standardrepertoire auf österreichischen Volksbühnen gebracht hat. Ein wenig unausgegoren noch, verglichen mit seinen späteren Werken, etwa der "Piefke-Saga" und der "Verkauften Heimat".
Der Stoff hingegen taugt zur Blaupause für Zivilcourage. Ist eine Art pädagogisches Handbuch darüber, wie es gelingen kann, selbst den scheinbar Geringsten unter den Menschen zu so etwas wie geistiger Blüte zu verhelfen. Bei "Wast" ist der Kümmerer der altersmilde Knecht Mich. Arthur Brauss, ein TV-bekanntes Gesicht und seit "The Train" mit Hoolywoodlob geadelt, verkörpert den Förderer in einer mimisch reduzierten, körperlich dafür umso präsenteren Art. Kein Wort zu viel macht der Eigenbrötler. Aber jedes Wort ist ein Tropfen Wasser auf den vertrockneten Schwamm Wast.
Gefangen in Kopf und Körper
Der "Unterricht" in Form von Zuneigung trägt Früchte. Wast ist plötzlich zu nie geahnten Gedankenausflügen fähig. Was ihn nicht davor bewahrt, vom Pöbel gemeuchelt oder wenigstens weggesperrt zu werden. In ländlicher Idylle wird der Wohlstandsmüll der Gesellschaft nicht rausgestellt vor die Rabatten, sondern aus dem Wirtshaus verbannt und hinter Bretterwände gezwängt.
Dieser doppelten Haft - gefangen im beschränkten Körper und Geist - verleiht Wast-Darsteller Moritz Katzmair eine subtile Note. Der stampft, schreit und klammert, schleudert seine Kasperlpuppe wie der Hausers Kaspar sein Holzpferd. Zuerst seiner Identität mit einer weißen Maske beraubt, bekommt er immer mehr Gesicht und Persönlichkeit. Die Deppentracht legt er ab, den grob gewalkten Janker an. Doch nur äußerlich scheint er jetzt dazu zu gehören. Der ewig gleiche Singsang der Sprache, der wirre Blick hinterm verhornten Kassengestell zeigen: Es gibt kein Entrinnen. Das Ausweglose fesselt, auch wenn das Stück selber mit Überraschungen eher geizt.
Die Behindertenstory hängt freilich ambossschwer über der Szenerie. Die Wetterlage passt sich zur Premiere der Bleiernheit des Stoffs auch optisch an. Auf einen solchen Abend muss man sich als Zuschauer einlassen wollen, nicht nur der Witterung auf einer Naturbühne wegen. Bei "Wast" verhält es sich wie mit Landwein: Er geht schnell in den Kopf und wirkt mit schwerem Abgang im Hals lange nach.
Weitere Vorstellungen am 21., 22., 26., 27., 29. Juli, 2., 4., 5. August
Karten Tel. 09232/602-162; E-Mail: touristinfo@wunsiedel.de