Ist Kulmbacher Opfer eines Arznei-Skandals?
Autor: Alexander Hartmann
Kulmbach, Mittwoch, 10. April 2019
Der Kulmbacher Wolfgang Lukas gehört zu Hunderten Menschen, die mit Missbildungen zur Welt kamen und das Medikament Duogynon dafür verantwortlich machen. Er gehört einem Netzwerk an, das den Bayer-Konzern und die Politik anprangert.
Er fordert Aufklärung in einem mutmaßlichen Arznei-Skandal: Der Kulmbacher Wolfgang Lukas (im Bild), der mit körperlichen Missbildungen auf die Welt kam und den Grund zu kennen glaubt. Die Mutter des heute 56-Jährigen hatte vor der Geburt das Hormon-Arzneimittel Duogynon eingenommen, das ab 1950 über drei Jahrzehnte millionenfach als Schwangerschaftstest und zur Behandlung von Regelblutungsstörungen eingesetzt worden war und das viele für schwere Fehlbildungen und Todesfälle verantwortlich machen.
Der Contergan-Skandal
Oft werden bei Duogynon Vergleiche mit dem Arzneimittel-Skandal um das Beruhigungsmedikament Contergan gezogen, das zwischen 1957 und 1961 vertrieben wurde und durch dessen Einnahme es zu einer Häufung von schweren Fehlbildungen und dem Fehlen von Gliedmaßen und Organen bei Neugeborenen gekommen war. In einem aufsehenerregenden Prozess gegen den Hersteller, die Firma Grünenthal, wurde das Strafverfahren 1970 wegen geringfügiger Schuld der Angeklagten eingestellt. Zuvor hatten die Eltern der Geschädigten mit Grünenthal einen Vergleich geschlossen, in dem eine Entschädigung von 100 Millionen Mark vereinbart wurde.
Hoffen auf Entschädigung
Eine Entschädigung, auf die auch Wolfgang Lukas hofft, der 1962 mit einem sechsten Finger an beiden Händen geboren wurde. "Die Finger wurden mir nach wenigen Wochen wegoperiert", sagt der Mann, der unter einem fehlenden Schluckreflex, unter Gelenkerkrankungen und unter Hydrocephalus leidet - einer Krankheit, auch Wasserkopf genannt, bei der eine Erweiterung der Flüssigkeitsräume des Gehirns vorliegt, die bei ihm zu Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen und Koordinationsproblemen führt. "Manchmal kann er nicht mehr gerade laufen", sagt Wolfgang Lukas' Ehefrau Roswitha.
Seit Jahrzehnten ungelöst
Wie viele, die sich als Opfer des Medikaments sehen, hat sich der Kulmbacher dem Netzwerk Duogynon e. V. angeschlossen, das Aufklärung in einem Arzneikrimi fordert, der seit Jahrzehnten ungelöst ist. Während das Netzwerk davon überzeugt ist, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Duogynon und Missbildungen gibt, wird das vom Hersteller bestritten. Vertrieben hat das Medikament zwischen 1950 und 1980 die Schering AG. Deren Rechtsnachfolger ist die Bayer AG, die Schering 2006 übernommen hat.
Er kam ohne Blase auf die Welt
Netzwerk-Sprecher Andre Sommer kam 1976 ohne Blase auf die Welt. Sommer hat gegen Bayer auf Auskunft, Schmerzensgeld und Schadensersatz geklagt. Die Klage wurde abgewiesen. Nach Auffassung der Richter waren sämtliche Schadensersatzansprüche im Jahr 2005 - 30 Jahre nach Verabreichung des Medikaments - erloschen. Das Gericht betonte, wie auch Spiegel online berichtete, dass nicht zu entscheiden war, ob Duogynon Schäden bei Sommer verursacht hat. Das Aufklärungsinteresse sei menschlich verständlich, aber nach dem Gesetz nicht durchsetzbar. Der Rechtsanwalt des Pharmakonzerns erklärte, Duogynom sei vom Bundesgesundheitsamt und vielen Behörden geprüft worden. Auch ein Ermittlungsverfahren habe die erhobenen Vorwürfe nicht bestätigt.
"Konzern blockiert Aufklärung"
Der Konzern blockiert Sommer zufolge nach wie vor die Aufklärung. Bayer setze sich mit den Geschädigten nicht an einen Tisch, so der Sprecher der Initiative, die im Kampf um die Einrichtung eines Entschädigungsfonds nicht nachlässt.