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Ist der vierte Pieks sinnvoll?


Autor: Alexander Hartmann

Kulmbach, Freitag, 29. Juli 2022

Klinikum-Chefarzt Joseph Alhanna spricht in einem Interview über die Omikron-Variante und den zweiten Booster - und er beantwortet die Frage, ob er angesichts der hohen Inzidenz auf das Bierfest gehen würde.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach rät auch allen unter 60-Jährigen zur vierten Impfung.


Er rät unter 60-Jährigen, die keine Hochrisikopatienten sind, nicht generell zu einer vierten Impfung, und er macht deutlich, dass die Frage "Geimpft oder ungeimpft?" bei der Omikron-Variante für den Schutz vor einer Infektion keine große Rolle mehr spielt: Joseph Alhanna, Chefarzt der Klinik für Pneumologie am Kulmbacher Klinikum. Für den Mediziner steht aber auch fest: "Die Impfung bietet nach wie vor einen Schutz vor einem komplizierten Verlauf."

Herr Alhanna, über Ihre Aussage in einem Gespräch mit unserer Zeitung, dass es aus Klinikum-Sicht aktuell keinen Grund zur Panik gibt, haben sich angesichts der relativ hohen Inzidenz nicht wenige gewundert. Stehen Sie nach wie vor zu dieser Feststellung?

Natürlich, denn es ist Fakt: Die Patienten am Klinikum, die in der Corona-Statistik geführt werden, sind zum Großteil nicht an Covid erkrankt, sondern "nur" infiziert. Sie befinden sich wegen einer anderen Erkrankung in Behandlung und wurden nebenbei positiv getestet. Trotzdem entsteht dadurch eine große Belastung für das Personal, weil aufwendige Vorkehrungen getroffen werden müssen. Ich kenne erfreulicherweise bis jetzt bei der Omikron-Variante aber keinen einzigen schwerwiegenden Verlauf mit einem akuten Lungenversagen. Zu Delta-Zeiten haben wir das häufig erlebt.

Am Samstag beginnt die Bierwoche. Die einen freuen sich, die anderen warnen davor, sich angesichts der hohen Inzidenz ins Getümmel zu werfen. Was raten Sie?

Vor einem Jahr hätte ich allen Menschen, egal zu welcher Risikogruppe sie gehören, davor abgeraten, große Feste zu besuchen. Das würde ich heute angesichts der Tatsache, dass sich das Virus in seiner Art und Weise abgeschwächt hat, nicht mehr tun. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben, und ich verstehe Leute, die nach der langen Zeit der Einschränkung das Leben wieder genießen wollen. Die Entscheidung, ob man geht oder nicht, muss jeder für sich treffen. Hochrisikopatienten rate ich weiterhin zur Vorsicht, denn es gibt natürlich nach wie vor ein geringes Risiko für die Entwicklung eines schweren Verlaufes. Ich selbst bin kein Bierzelt-Gänger, ich würde aber, wenn ich es wäre, zur Bierwoche gehen. Ich bin dreifach geimpft, habe eine Infektion hinter mir und gehe deshalb davon aus, dass ich zumindest gut grundimmunisiert bin.

Geimpft, ungeimpft: Spielt das bei Omikron eine Rolle?

Das Virus, das bei Omikron zigfach mutiert, hat im Vergleich zu alten Varianten viel an Gefährlichkeit verloren. Was die Gefahr einer Ansteckung betrifft, sehe ich, was den Impfstatus betrifft, keine Unterschiede mehr. Wir können uns alle, geimpft oder ungeimpft, mit dem Virus infizieren und ihn übertragen. Auch hinsichtlich der Stärke der Symptome spielt der Impfstatus aus meiner Sicht keine große Rolle. Die Grundimmunisierung ist allerdings nach wie vor sehr wichtig, um einen schweren Verlauf zu verhindern, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem solchen kommt, wesentlich geringer geworden ist als bei der Delta-Variante.

Vor einem Jahr war die Inzidenz einstellig, heute liegt sie im Landkreis um die 1300. Wie lässt sich das erklären?

Das Virus ist ansteckender. Zudem gibt es keine Beschränkungen mehr. Beides trägt sicherlich dazu bei.

Mit der Inzidenz steigen auch die Personalausfälle. Macht Ihnen das Sorgen?

Es ist natürlich meine Sorge, dass die Zahl der Krankheitsfälle steigt und der Betrieb heruntergefahren werden muss. Die Erfahrungen in der Pandemie haben gezeigt, dass das weitreichende Folgen bezüglich anderer Krankheiten haben kann. OPs wurden nicht durchgeführt, viele, die Beschwerden hatten, haben den Arztbesuch gemieden. Es gibt nicht wenige, bei denen deshalb eine Krankheit nicht rechtzeitig erkannt worden ist. Es ist wichtig, dass die Versorgung der Patienten sowohl im ambulanten wie auch stationären Bereich nicht mehr unter der Pandemie leidet. Das hatte in den letzten beiden Jahren schwere negative Auswirkungen.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach warnt vor dem Horror-Herbst.

Ich finde es in Zeiten, in denen wir mit großen Sorgen leben - Ukraine-Krieg, Energie-Probleme, steigende Preise -, nicht richtig, die Bevölkerung weiter zu verunsichern. Ob es ein Horror-Herbst wird, kann keiner sagen. Vielleicht wird er gar nicht so schlimm. Es ist denkbar, dass die erwartete Herbstwelle aufgrund der Sommerwelle gar nicht so stark ansteigt. Trotzdem appelliere ich an alle, Vorsicht walten zu lassen und Covid-19 nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

Lauterbach rät auch unter 60-Jährigen zur vierten Impfung. Ist das auch Ihr Rat?

Ich würde auf jeden Fall die Analyse der aktuellen Datenlage und die Empfehlung der Stiko-Kommission abwarten. Meiner Meinung nach besteht derzeit noch keine generelle Indikation für eine vierte Impfung aller Menschen unter 60, die keine Risikopatienten sind. Studien aus Israel zeigen, dass sich der Schutz vor einem schweren Verlauf, Hospitalisierung und Mortalität nach einer zweiten Auffrischung erhöht, allerdings lässt die positive Wirkung schon nach acht Wochen allmählich nach. Ich empfehle die vierte Impfung für alle Menschen über 70 und alle Hochrisikogruppen-Patienten, egal in welchem Alter. Ich bin im übrigen nach wie vor der Meinung, dass die Grundimmunisierung durch die Impfung der beste Weg ist, der uns aus der Pandemie herausführt.