Druckartikel: Ins Pfarrhaus in Presseck ist wieder Leben eingekehrt

Ins Pfarrhaus in Presseck ist wieder Leben eingekehrt


Autor: Klaus Klaschka

Presseck, Montag, 28. März 2016

Seit zwei Wochen ist das Pfarrhaus an der Wildensteiner Straße wieder bewohnt - von Majed Alhammad und seiner Familie, die vier Monate auf der Flucht war.
Das Betreuerteam der katholischen Kuratie Presseck freut sich mit den neuen Bewohnern des Pfarrhauses. Foto: Klaus Klaschka


Auf verschlungenen Pfaden kamen die Syrer nach Deutschland, ihre Heimatstadt ist zerbombt. Auch andere Städte, in denen sie eine weniger lebensgefährliche Existenz gesucht hatten. Auch im Nachbarland Türkei konnten sie keine Bleibe finden, es sei denn als Touristen in Hotels; doch das kann man auf Dauer als sechsköpfige Familie nicht durchhalten, denkt Majed zurück.


Rektor ohne Schule

Majed Alhammad war Rektor einer Schule in Deir Ez-Zor im Osten Syriens gewesen. Er selbst lehrte arabische Sprache und Literatur, solange es eine Schule gab. Sie wurde zerstört, wie auch das Haus, in der die Familie lebte, mitsamt dem ganzen Häuserblock. Bei einem der Angriffe - seitens des Regimes in Damaskus oder der Oppositionsarmee oder von IS oder durch russische Flugzeuge, die auf der Seite des Regimes gegen alle anderen kämpften; man weiß es nie genau - wurde sein zweitältester Sohn am Kopf verletzt; vier andere Kinder starben dabei. Aus Majeds Umkreis sind bisher 22 Familienmitglieder ums Leben gekommen. Er kämpft um Fassung, wenn er davon erzählt.

Die gesamte Familie floh in andere Regionen in Syrien. Als auch die umkämpft wurden, floh man weiter, bis man als einzigen Ausweg sah, das Land zu verlassen. Doch selbst die Flucht ins Nachbarland Türkei sei gefährlich gewesen, sagt Majed. Das Grenzgebiet ist umkämpft. Und: ohne Geld geht gar nichts. 1000 US-Dollar pro Person musste man zuerst an "ortskundige Reisehelfer" bezahlen. Geld war aus der gesamten Familie zusammengetragen worden, seine Frau musste ihren gesamten Schmuck opfern, um sich auf die fünftägige Reise bis Istanbul machen zu können.


Keine Existenz in Istanbul

Dort blieb man zunächst zweieinhalb Monate auf der Suche nach einer sicheren Existenz. Hilfen oder Unterstützung habe man in der Türkei allerdings nirgends erhalten. Dreimal wurde er von der Polizei verhaftet, seine Papiere wurden überprüft, dann wurde er wieder losgeschickt und auf den Verbleib in irgendeinem Hotel verwiesen. In den Parks und neben den Straßen hätten andere Flüchtlinge campiert, die kein Geld mehr für eine Unterkunft gehabt hätten - ohne Essen, ohne Wasser.

Man hatte auch gehört, dass es für syrische Flüchtlingskinder Unterricht gebe. Er habe seine Kinder zur Schule geschickt, erzählt Majed. Die habe es auch tatsächlich gegeben, doch Lehrer seien halt nicht gekommen.
Schließlich sei man auf Schlepper (Majed nennt sie nur "Mafia") aufmerksam geworden, die eine Weiterreise nach Griechenland versprachen - per Boot übers Meer. Dass es eine unsichere und durchaus gefährliche Reise werden würde, das wusste er; über Smartphones und Internet hatte sich das ja schon herumgesprochen. Trotzdem gab es für ihn keine Wahl. Die Alternative wäre gewesen, im Krieg durch Regierungstruppen, Aufständische, IS oder russische Bomber umzukommen. Oder in der Türkei zu verhungern.


Mit dem Bott übers Meer

Nach einigen Tagen hin und her wurde man zunächst über Land von Istanbul in die Nähe von Izmir gefahren worden, fünf Tage lang im Bus. Dann schließlich kam der Moment, an dem ein Boot zu Verfügung stand - nachts. Ein kleines Boot für 60 Personen, darunter 13 Kinder. Wieder waren 1000 US-Dollar pro Person fällig. Die "Mafia" drängte die Flüchtlinge ins Boot. "Kein Wort, automatische Waffen im Anschlag", erinnert sich Majed. Das Boot fuhr ab. Auf halber Strecke zur griechischen Insel Lesbos ging der Motor aus, vier Meter hohe Wellen warfen das Boot mitsamt den 60 zusammengepferchten Personen an Bord herum.

Über Smartphone und Internet kam man an die Nummer der griechischen Polizei und an die genauen GPS-Daten des manövrierunfähigen Bootes. Drei Stunden später war die griechische Küstenwache am Boot. Man hatte großes Glück, weiß Majed; andere Boote sind gesunken.

Nach einem Tag Aufenthalt im griechischen Lager sei die Familie dann noch zehn Tage per Bus und Bahn unterwegs gewesen. Die Leute in Griechenland seien freundlich gewesen, auch in Österreich und erst recht in Deutschland. Hier war die erste Station München, dann Bayreuth, wo man sechs Wochen in einer Gemeinschaftsunterkunft lebte.


Kuratie hat gute Erfahrungen

Nachdem die bisher im katholischen Pfarrhaus untergebrachte Familie ohne Anspruch auf Asyl oder Flüchtlingsstatus wieder zurückgeschickt worden war, war man sich in der katholischen Kuratie St. Petrus Canisius Presseck schnell einig, dass man das ansonsten leer stehende Haus wieder einer Flüchtlingsfamilie überlassen wollte. Mit der vorherigen Familie war man sehr gut zu Recht gekommen, berichtet Anita Baar, "und die Jungs hatten ja auch schon aktiv beim TSV Fußball gespielt".

Nun bewohnt die Familie von Majed Alhammad - zwei Erwachsene und vier Kinder - das Obergeschoss: eine Wohnküche, ein Elternschlafzimmer und ein Kinderzimmer. Sie wurde über das Landratsamt zugewiesen.
Ein kleiner Kreis aus der Kuratie kümmert sich um die Neu-Pressecker. Doch sie scheinen nur einen kleinen Anstoß zu brauchen. Reinhard Baar fuhr mit Majed gleich am nächsten Tag nach dem Einzug alle Bushaltestellen bis Kulmbach ab und zeigte ihm die Einkaufsmöglichkeiten. Drei Tage später sei Majed gleich ohne Hilfe allein einkaufen gegangen, freut sich der Helferkreis sichtlich über den schnellen Erfolg.

Nach der Ankunft in Presseck wurde die ganze Familie auch gleich in den laufenden Deutsch-Kurs im TSV-Heim integriert. Sumaya, Majeds Frau, die eine Ausbildung in Pharmazie hat, antwortet schon in Deutsch, wenn es nicht weitergeht in Englisch. Die älteste Tochter Tasmin (12) hält sich eher im Hintergrund, die Buben Mohammad (10) und Kaswara (9) passen gespannt auf, wer was redet, und die kleine Basmala (fast 3) lässt ihren Charme spielen und hängt an Anita Baar. Die Kinder sind durch die Bank wohl erzogen und werden von ihrem Vater ("Ich bin ja Lehrer") unterrichtet.


Der Traum vom Fahrrad

Pläne oder Wünsche hat die Familie nicht. Allerdings möchte man jetzt Kontakt zum ältesten Sohn der Familie knüpfen. Der 17-Jährige ist bereits vor einem Jahr nach Deutschland geflohen und jetzt in Allersberg untergebracht. Auch hat Sumaya Alhammad einen Onkel, der vor 15 Jahren als Mediziner nach Deutschland kam und jetzt in Rostock lebt.

Doch zunächst will man in Presseck ankommen. Die beiden Jungs haben aber doch einen Wunsch: Für jeden ein Fahrrad, das wäre ihr Traum. Und sie verstehen schon, wenn sie Reinhard Baar darauf aufmerksam macht, dass Radfahren ohne Helm überhaupt nicht geht.