In Kulmbach: Wir bauen eine Bausünde - ein Kommentar
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Donnerstag, 18. Juli 2019
Zum Abbruch eines historischen Backsteingebäudes: Kulmbach reißt seine Geschichte ab.
Wieder hat der Kulmbacher Stadtrat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Erst wurde im Februar die Photovoltaikanlage bei Grafendobrach verhindert. Am Donnerstag nun der Abbruchbeschluss des Stadtrats für die alte Mälzerei Müller (vorher Petzbräu). Nur eine Gegenstimme: Thomas Nagel von der FPD scherte aus der Einheitsfront aus. Immerhin ein bisschen Opposition.
Bei der Photovoltaik hielt die Stadtratsmehrheit an einem zehn Jahre alten Grundsatzbeschluss fest. Grüner Strom vom Acker wurde abgelehnt, einem hiesigen Unternehmer zeigte man die lange Nase. Der Stadtrat unterschätzte den Stellenwert, den der Klimaschutz inzwischen in der Bevölkerung bekommen hat - siehe auch den Erfolg des Volksbegehrens "Artenvielfalt - rettet die Bienen".
Unangenehme Gespräche
In der Folge dürften viele Stadträte viele unangenehme Gespräche geführt haben. Denn ein paar Wochen später folgte ein Politikwechsel: Der Stadtrat will sich bei der Photovoltaik neu orientieren. Für Grafendobrach leider zu spät.
Und nun das Stadtbild. Der Wert eines alten Industriegebäudes wird völlig verkannt. Rotes Ziegelmauerwerk, das für Kulmbach prägend gewesen ist. Es steht für die Zeit, als Brauereien und Mälzereien Ende des 19. Jahrhunderts den Ruf Kulmbachs als Bierstadt begründeten. Industriearchitektur, die eine faszinierende Wirkung ausübt - täglich zu sehen bei den Mälzereien Unima und Meußdoerffer. Zitat von Professor Martin Schirmer, Stadtplaner für den Kulmbacher Uni-Campus: Den Charme der alten Häuser kann man mit einem Neubau nie erreichen. Richtig!
Rezept von vorgestern
Andere Städte haben den Trend erkannt: Roter Backstein wird geschätzt, gepflegt, saniert. Der Charme alter Bausubstanz macht den Reiz von Coburg oder Bayreuth aus. Und Bamberg hat sogar einen Gestaltungsbeirat. Alle drei übrigens Studentenstädte. Aber Kulmbach reißt seine Geschichte ab. Ein Rezept von vorgestern. Das sichtbare Ergebnis dieser Politik: Woolworth und KDM, die seit Jahrzehnten die Innenstadt verschönern.
Doch wir brauchen über die Bausünden von gestern nicht reden, wir haben 2019 und bauen die Bausünde von morgen. Wenn man sich in der Branche umhört, dann wird das Megaprojekt am Tor zur Altstadt als reine Investorenarchitektur eingestuft, um Geld zu verdienen.
Flair eines Krankenhausneubaus
Und was bekommt man dafür? Wohnraum, der sicherlich gebraucht wird. Aber wollen Studenten wirklich in überdimensionalen Schuhschachteln leben, die in die Umgebung reingequetscht wurden und das Flair eines Krankenhausneubaus ausstrahlen? Und: Das Drösel-Gebäude könnte überall stehen, wo freier Platz ist: Am Goldenen Feld, auf dem Kaufplatzgelände oder woanders.