In Kulmbach gibt es Hilfe für verletzte Seelen
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Donnerstag, 16. April 2015
Um Kinder, die nie Kinder sein durften, kümmert sich ein Team von Fachleuten beim neuesten Projekt der Gummi-Stiftung. Aus ganz Nordbayern kommen die traumatisierten kleinen Wesen, die nie im Sandkasten gespielt haben, aber Gewalt, Todesangst und grausame Strafen kennen.
Edeltraud Burger-Dahlhoff hat in ihrem Beruf als Pädagogin und Psychotherapeutin für Kinder schon viel erlebt und viel gesehen. Doch es gibt Schicksale, die sie erschüttern. "Diese Kinder haben Erfahrungen gemacht, da kommen mir die Tränen", sagt die Fachbereichsleiterin für stationäre und ambulanten Jugendhilfen bei der Geschwister-Gummi-Stiftung.
"Diese Kinder" - das sind traumatisierte kleine Wesen, die schon als Babys oder im Kleinkindalter schreckliche, unvorstellbare Erlebnisse gemacht haben. Sind so kleine Hände, die nie im Sandkasten spielen konnten. Kleine Gesichter, die niemand gestreichelt hat. Kinder, die nie Kind sein durften.
Überlebensstrategie: Essen im Müll gesucht
Diese Kinder sind an der Seele verletzt, erklärt Carolin Schmidt. Und die Psychologin und Trauma therapeutin bringt ein Beispiel, was traumatisiert bedeutet: "Es geht bis dahin, dass Kleinkinder Todesängste haben, weil sie nicht ordentlich ernährt werden. Wir kennen Kinder, die gelernt haben, im Müll ihre Nahrung zu suchen." Unglaublich, aber für Zwei- oder Dreijährige eine Strategie, um zu überleben. "Solche Kinder tendieren später dazu, Lebensmittel zu horten, zu stehlen, zu verstecken. Der Grund: Sie wollen nie mehr Hunger haben."
Auch bei Strafen, so Burger-Dahlhoff, sind Erwachsene offenbar überaus erfinderisch: "Strafmethoden so grausam, die man sich gar nicht vorstellen kann." Sie erzählt von einem zweijährigen Mädchen, das die ganze Nacht im dunklen Treppenhaus bleiben musste und nicht wusste, ob es jemals wieder in die Wohnung gelassen wird.
Dazu kommen körperliche Misshandlungen, häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe. Oder emotionale Demütigungen: Ein Kind hört von der Mutter immer wieder, dass es eine Missgeburt sei, dass es besser gewesen wäre, wenn sie es abgetrieben hätte.
Recht auf gute Bedingungen
Es ist klar, es handelt sich um Kinder, die die denkbar schlechtesten Startbedingungen haben. Kleine, verletzliche Menschen, die mit Angst und Schrecken aufgewachsen sind, die Sicherheit und Geborgenheit nie erlebt haben. Die aber "ein Recht haben auf gute Rahmenbedingungen, und wenn sie das in der Familie nicht bekommen, dann müssen wir als Gesellschaft dafür sorgen", betont Burger-Dahlhoff.
Um solchen Kindern zu helfen, ist von der Gummi-Stiftung in Kulmbach ein Haus gebaut worden. Es steht in der Trendelstraße und wird nächsten Donnerstag eingeweiht. Die Stiftung und ihr Geschäftsführer Karl-Heinz Kuch machen noch ein großes Geheimnis um das zirka drei Millionen Euro teuere Projekt, das nur mit Hilfe zahlreicher (und großzügiger) Geldgeber zustandegekommen ist. Einzelheiten will man bei der offi ziellen Eröffnung bekanntgeben. Derzeit werden noch Restarbeiten erledigt, aber die 13 Heimplätze sind schon längst belegt. "Der Bedarf ist enorm", sagt Kuch, "die Plätze reichen eigentlich nicht aus."
In herkömmlichen Heimen kann diesen Kindern, die von Jugendämtern aus den Familien genommen worden sind, nicht geholfen werden. Sie entwickeln Verhaltensauffälligkeiten: Aggres sivität, Selbstverletzung, Rückzug, Selbstmordgedanken - damit sind normale Jugend hilfeeinrichtungen überfordert.
Frühzeitig helfen
"Aus ganz Nordbayern kommen diese Kinder, eingewiesen durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie, zu uns. Wir sind die einzige Einrichtung in Bayern, die schon ab drei oder vier Jahren aufnimmt", erklärt Burger-Dahlhoff. "Wir beginnen so frühzeitig, um den Kindern grundlegend helfen zu können." Es geht darum, Wieder holungsabläufe zu unterbrechen. Denn die Eltern, die ihren Kinder so massiv Gewalt antun, haben früher fast immer dieselben Erfahrungen gemacht. "Es braucht mehr als 20 Jahre, um Gewalt oder andere Verhaltensmuster aus Familien rauszukriegen", so die Expertin.
Die Chefin der neuen Einrichtung schwärmt von "ihrem" Team, von den 15 Mitarbeitern, die alle eine Zusatzausbildung in Traumapädagogik haben. "Sie haben Lust auf die Arbeit mit diesen Kindern, bringen eine hohe fachliche und persönliche Kompetenz mit. Unsere größte Stärke aber ist unser Lachen, manches auch locker und entspannt sehen zu können."
Sicherheit statt Ohnmacht
Wichtigste Aufgabe der Therapeuten und Pädagogen, sagt Carolin Schmidt, ist es, den Kindern ein Gefühl der Sicherheit zu geben, für sie einen sicheren Ort zu schaffen. Sie sollen lernen, die Gefühle der Hilflosigkeit und Ohnmacht zu überwinden und alte Verhaltensmuster abzulegen.
Besonderheit im Kulmbacher Traumahaus: Die Therapeuten sind in den Gruppendienst integriert. "Um sofort reagieren zu können, wenn Kinder Flashbacks haben", betont Burger-Dahlhoff. "Die Kinder bringen ihre Probleme nicht unbedingt vor, wenn gerade Therapie sitzung stattfindet."
"Sie haben Glück"
Bei allem, was diese Kinder durchgemacht haben - die Pädagogin ist überzeugt: "Sie haben Glück, dass sie hier einen Platz haben. Sie kriegen die angemessene Hilfe." Sie mache sich mehr Gedanken um die vielen Kinder, "die weiter in der Familie sind und keine Hilfe bekommen".