In der Kulmbacher Altstadt steht ein Pflänzchen aus der Unterhose
Autor: Erich Olbrich
Kulmbach, Donnerstag, 07. Juni 2018
Im Kulmbacher Schießgraben steht ein "schlesischer Papiernussbaum" mit einer großen Besonderheit: Das Pflänzchen steckte einst in einer Unterhose.
Nicht nur Häuser und Personen können eine bewegte Vergangenheit haben, sondern auch Bäume. Die Geschichte des prächtigen Walnussbaumes im Schießgraben, vor dem Tor des Markgraf Georg-Friedrich Gymnasiums, beginnt mit dem Kriegsende.
Arzt tat viel Gutes
1945 kam ein schlesischer Soldat nach Kulmbach ins Lazarett. Dort wurde er von Dr. Hermann Semmelroch behandelt und gepflegt. Über diesen Arzt erzählten sich die Kulmbacher, dass er im Stillen sehr viel Gutes tat. So besorgte er zum Beispiel dem armen Soldaten nach seiner Genesung eine Arbeit im Baugeschäft Pittroff.
Das einzige, was der Flüchtling aus seiner Heimat hatte retten können, war ein kleines Walnuss-Pflänzchen, das er in seiner zerschlissenen Uniformhose versteckt hatte. Dieses schenkte er seinem Arzt.
Das schönste Geschenk
Obwohl Semmelroch über einen großen Besitz und Reichtum verfügte, sagte er, dass dies das schönste Geschenk sei, das er je erhalten habe. Er habe noch nie das einzige Hab und Gut eines Menschen bekommen.
Das kleine Pflänzchen steckte er auf seinem Grund im Schießgraben in den Boden und kaufte noch einige Quadratmeter dazu, damit kein Fremder an das Bäumchen herankommen könnte. Weiterhin verfügte er, dass der Baum nie gefällt und immer gepflegt werden müsse.
Papierdünne Schale
Es handelt sich um eine in unserer Gegend selten vorkommende Walnussart, eine sogenannte "Papiernuss". Ihre Besonderheit ist eine papierdünne Schale. Zum Andenken an den schlesischen Soldaten wird der Baum auch "schlesische Papiernuss" genannt.
Diese Bezeichnung gibt es in der Botanik gar nicht. Fachleute bezeichnen ihn als Zufalls-Sämling. Die genetischen Anlagen für solch dünne Schalen seien extrem selten. Weil die äußere Hülle leicht beschädigt werden kann, seien die Früchte sehr gefährdet -sehr zur Freude der Vögel und Eichhörnchen, die dadurch leicht an den köstlichen Inhalt herankommen.
Papiernüsse entstehen aufgrund einer physiologischen Störung während der Fruchtbildung. Hohe Stickstoffgehalte im Boden und nasskalte Sommer sollen die Ursache sein.
Vor einigen Jahren habe ich eine Besuchergruppe aus Norwegen durch Kulmbach geführt. Die Nüsse waren reif und die Besucher nahmen einige mit. Eines Tages bekam ich Post von der Gruppe, und man teilte mir mit, dass es nun in Oslo "Kulmbacher schlesische Papiernüsse" gebe.
Schirm im Geäst
Auch ein eigenes Erlebnis verbinde ich mit diesem Baum. Als ich vor vielen Jahren mit Marcus einen Spaziergang in die Stadt unternahm, mein Enkel saß noch im Kinderwagen, zeigte ich ihm diesen Baum. Da am Boden noch keine Nüsse lagen, wollte ich Marcus mithilfe meines Schirmes einige herunterholen. Die Nüsse kamen auch zu uns, nur der Schirm blieb in den Ästen hängen.
Um mein Missgeschick nicht an die große Glocke zu hängen, eilten wir schnell nach Hause, holten einen langen Stecken und kehrten zum Walnussbaum zurück. Der Schirm war schnell befreit, allerdings nach dem Aufprall ziemlich verbogen.