Druckartikel: Ihr Kampf gegen Atomkraft begann in Wackersdorf

Ihr Kampf gegen Atomkraft begann in Wackersdorf


Autor: Jochen Nützel

Ködnitz, Montag, 25. April 2016

Vor 30 Jahren ereignete sich die Reaktorkatastrophe in der UdSSR. Damal war das Ehepaar Asen schon gegen Atomkraft aktiv.
Erinnerung an eine Aktion vor zehn Jahren: Cosima und Johannes Asen mit einem Flugblatt zum Tschernobyl-Gedenktag am 26. April. Die beiden gebürtigen Berliner schlossen sich bereits in den 1980er-Jahren der Anti-Atomkraft-Bewegung an. Foto: Jochen Nützel


Sie erinnern sich, dass in den deutschen Medien zunächst nur sehr spärliche Informationen verbreitet wurden. Es habe einen "Zwischenfall" in einem Atomreaktor in der Sowjetunion gegeben. Keine Rede vom GAU, dem "größten anzunehmenden Unfall". Es hieß, Kinder sollten - vorsichtshalber - nicht im Freien spielen, nicht ins Gras und den Sandkasten. Pilze waren tabu, Wildfleisch auch. Plötzlich achtete jeder darauf, ob es regnete und aus welcher Richtung der Wind wehte. Denn das Nuklid Cäsium 4, so viel wusste man, verteilt sich leicht mit der Luft.

"Zu Hause bei uns war die Stimmung an diesem 26. April 1986 unwirklich und düster, obwohl es ein sehr schöner Frühlingstag war", sagt Johannes Asen. Die Nachrichten aus dem scheinbar so fernen Osten beunruhigten ihn und seine Frau Cosima. "Wer sich damals ein bisschen mit der Materie beschäftigt hatte, der konnte halbwegs ahnen, was das Unglück in Tschernobyl bedeuten würde", schiebt Cosima Asen nach.

Mit der Atomenergie hatten sich die gebürtigen Berliner schon Jahre davor intensiv befasst. 1979 war das Paar nach Kulmbach gezogen, sechs Jahre später nach Heinersreuth in die Gemeinde Ködnitz, wo beide heute noch leben. Sie machten damals bereits auf die in ihren Augen unkalkulierbaren Risiken der Kernspaltung aufmerksam, verteilten Flugblätter, organisierten Infostände. Der Kinderarzt Johannes Asen war Mitglied in der Organisation IPPNW, einem internationalen Zusammenschluss von Medizinern für die Verhütung des Atomkrieges. "Ich hatte in meiner Praxis entsprechendes Infomaterial ausliegen und habe mich auch getraut, es der einen oder anderen Briefsendung an Kollegen beizulegen. Damit bin ich nicht bei jedem auf Gegenliebe gestoßen." Der 70-Jährige lächelt beim Gedanken an die unwirsche Antwort eines Arztes.


Protest gegen die WAA

Es war ein Jahr vor Tschernobyl, da wollten die Asens nicht mehr nur in ihrem engsten Kulmbacher Umfeld gegen die Atomkraft zu Felde ziehen. Und der "Feind" lag nicht weit vor der Haustür: Wackersdorf, ein kleiner Ort in der Oberpfalz, aber ein (W)Ort wie Donnerhall wegen dreier Buchstaben: WAA - Wiederaufbereitungsanlage.

Für verbrauchte Brennstäbe aus deutschen Atommeilern. Ein Projekt der Franz-Josef-Strauß-Ära. Der Ministerpräsident hatte den Anlagebetreibern und Konzernen stabile politische Verhältnisse versprochen. Widerstand sei nicht zu erwarten in der "industriegewohnten Bevölkerung". Die Standortentscheidung mitten im Wald würde eine "rasche und ungestörte Realisierung des Projekts" garantieren.

Klassischer Fall von Denkste. "Da waren wir als Grüne natürlich schon aus politischen Oppositionsgründen heraus hoch motiviert", betont Cosima Asen. Mehrfach fuhren sie und ihr Mann mit anderen Gleichgesinnten zu den Demonstrationen. Bis zu 35 000 versammelten sich und protestierten auf dem von Kiefern umsäumten WAA-Werksgelände. Die Sicherheitsbehörden gingen mit Tränengas und Schlagstock hart zu Werke. "Wir hatten mal den Kinderspaten unseres Sohnes im Auto vergessen - sogar den hat die Polizei konfisziert."


"Mancher hielt uns für Spinner"

Für das Ehepaar Asen ist nicht zuletzt die Zukunft ihrer beiden Kinder in einer kernwaffenfreien Welt Grund genug, sich in der Anti-Atomkraft-Bewegung jener Zeit stark zu machen. Johannes Asen verhehlt nicht, "dass uns damals nicht wenige für Spinner gehalten haben". Wer gegen die Kernkraft war, war doch gegen den Fortschritt, gegen den Wohlstand, oder? "Blödsinn." Cosima Asen hat den Vorwurf so oft gehört. "Was soll das für eine fortschrittliche Technik sein, bei der keiner weiß, was mit dem Müll passiert? Bei der ein Bedienungsfehler ganze Landstriche für Jahrtausende verseucht und unbewohnbar macht?"

Insofern sei der deutsche Atomausstieg eine konsequente, wenn auch späte Reaktion. "Es ist sicher ein Erfolg", sagt Johannes Asen. Ein Satz mit "aber", und das folgt prompt: "Aber um uns herum haben das leider nicht alle begriffen. Belgien, Frankreich, die USA und China halten nicht nur an der Technik fest, sie bauen sie weiter aus." Angesichts solcher Meldungen habe sich beim Wahl-Ködnitzer eine gewisse Resignation breit gemacht. "Es fällt schwer, sich täglich die Nachrichtenlage anzutun. Manche Menschen scheinen wenig gelernt zu haben aus der Geschichte." Auch und gerade aus der Katastrophe von Tschernobyl.