Hinschauen und teilen: Wohlstand verpflichtet
Autor: Dagmar Besand
Kulmbach, Mittwoch, 02. Sept. 2015
Die Kriegsflüchtlinge, die vor einigen Stunden in Kulmbach angekommen sind, haben eine lange Reise hinter sich, voller Gefahren, Ängste und Nöte, die wir - in Frieden und Wohlstand aufgewachsen - uns nicht nicht einmal im Traum vorstellen können. Jetzt sind sie in Sicherheit, bei uns in Deutschland.
Ein Bett, etwas zu essen, viele haupt- und ehrenamtliche Helfer, die sich mit großem Einsatz um sie kümmern, ihnen das Gefühl geben, endlich einmal irgendwo willkommen zu sein. Die Helfer machen einen tollen Job und repräsentieren ein weltoffenes, hilfsbereites und verantwortungsbewusstes Deutschland.
Doch es gibt leider auch andere Tendenzen: Menschen, die tatsächlich neidisch auf die Flüchtlinge schielen, ihnen das Wenige, das sie haben und bei uns geschenkt bekommen, nicht gönnen. Ich mag's schon nicht mehr hören, das Märchen vom Smartphone-Luxus der Asylbewerber. Versuchen wir doch ab und zu einmal, uns in die Lage der Flüchtlinge zu versetzen: Wie würde es Ihnen gehen, tausende Kilometer entfernt von Ihren Lieben, nicht wissen, wo sie sind, ob sie überhaupt noch leben? Ein Telefonat, eine SMS, eine E-Mail geben Halt und Hoffnung.
Als bedenklich empfinde ich, dass sich in die Diskussion mittlerweile eine Unterscheidung in Flüchtlinge erster und zweiter Klasse einschleicht. Da hätten wir erstens die Kriegsflüchtlinge aus Syrien und anderen umkämpften Gebieten. Die brauchen unsere Hilfe. Selbstverständlich. Krieg ist schließlich ein "echter Grund".
Aber brauchen die anderen Flüchtlinge unsere Hilfe weniger? Sind deren Gründe, ihre Heimat zu verlassen, nicht berechtigt? Ist ihre Not kleiner? Kommen sie vielleicht nur zu uns reichen Deutschen, um sich auf unsere Kosten ein schlaues Leben zu machen?
Mal ehrlich: Können Sie oder ich das beurteilen? Wer gibt seine Heimat auf, geht ins Ungewisse, in ein Land, in dem alles fremd ist - Kultur, Sprache, Klima, Essen - wenn es nicht sein muss? Einige tun das wahrscheinlich. Die große Masse aber flieht entweder vor Bomben und Terror oder vor Unterdrückung, Hunger und Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen. Was würden wir in ihrer Situation tun? Zuhause bleiben und warten, ob's besser wird?
Oberfranken wurde schon einmal von Kriegsflüchtlingen überschwemmt. Das ist schon 70 Jahre her, aber viele von Ihnen erinnern sich noch an diese Zeit, haben am eigenen Leib gespürt, was Flucht bedeutet, oder kennen Erzählungen ihrer Eltern. Auch meine Mutter war eine Heimatvertriebene: zwölf Jahre alt, Abtransport aus dem Sudetenland im Viehwaggon, hunderte Menschen auf engstem Raum, zwangsweise die Haare geschoren, immer hungrig, kalte Nächte im Flüchtlingslager ohne Decken, kein sauberes Kleidungsstück. Sie hat mir oft davon erzählt und sich immer verpflichtet gefühlt, Menschen in Notlagen zu helfen.
Es ist vielleicht das Wertvollste, das ich von ihr gelernt habe: Hinschauen und mit denen teilen, die wenig haben. Wohlstand verpflichtet!