Hat es sich bald ausgeschwirrt? Bayreuther Wissenschaftlerin warnt vor Insektensterben
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Dienstag, 29. Januar 2019
Heike Feldhaar, Professorin für Tierökologie an der Universität Bayreuth, lenkt das Augenmerk zur Artenvielfalt auch auf die Vergessenen in Feld und Flur.
Egal ob Ameise, Nachtfalter oder Mauerbiene: Im Gefüge der Natur spielt jeder noch so kleine Organismus eine wichtige Rolle. Doch der großen Familie der Insekten geht es offenbar an den Kragen. Das soll sich ändern, wenn das Volksbegehren "Artenvielfalt - Rettet die Bienen" ein Erfolg wird. Was passieren muss, um die Wende einzuläuten? Tierökologin Heike Feldhaar von der Uni Bayreuth ist sich sicher: "Ein paar Blühstreifen werden nicht helfen." Wenn sogar in der ARD-Tagesschau um 20 Uhr vom Insektensterben die Rede ist: Bedient das wieder nur die Paranoia von Öko-Hysterikern, wie es abfällig heißt?
Heike Feldhaar: Nein, das ist keine Hysterie oder gar Fake-News. Es gab in den vergangenen Jahrzehnten einen sehr massiven Rückgang in der Biomasse an Insekten, viele Insektenarten gelten als bedroht. Dies sind extrem schnelle Veränderungen, die im Laufe eines Menschenlebens, also ein viel besser messbarer und weniger abstrakter Vorgang als der Klimawandel.
Wer sich mit dem Thema befasst, stößt unweigerlich auf die Krefelder Studie. Demnach ist zwischen 1989 und 2014 die Biomasse von fliegenden Insekten insgesamt um über 75 Prozent zurückgegangen. Ist die Studie valide?
Bei der Krefelder Studie handelt es sich um Daten zur Biomasse von Insekten, die in zwei Regionen in Deutschland über einen Zeitraum von 27 Jahren in Schutzgebieten vom Krefelder Entomologischen Verein erfasst wurden. Gemeinsam mit internationalen Wissenschaftlern sind diese Daten ausgewertet und 2017 in der internationalen Zeitschrift "PLoSOne" veröffentlicht worden. Die Ergebnisse der Studie sind erschreckend, weil sie das Insektensterben sehr deutlich dokumentieren.
Manche Kritiker sagen, dass die Studie statistisch nicht sauber ausgewertet wurde und das Sammel-Design problematisch war. Die Hobby-Entomologen des Krefelder Vereins hatten ihre Fallen über die Jahre in unterschiedlichen Schutzgebieten aufgestellt, nur wenige sind mehrfach besammelt worden. Nachteil ist, dass sich die Schutzgebiete unterscheiden können hinsichtlich ihres Insektenvorkommens. Das heißt: Ein Rückgang in Insektenbiomasse könnte ja auch darauf beruhen, dass in späteren Jahren Schutzgebiete besammelt wurden, in denen schon immer weniger Insekten vorkamen. Hierfür ist aber statistisch korrigiert worden, in dem man sich anschaut, wie stark die Schwankungen zwischen den Schutzgebieten in einem Jahr sind im Vergleich zu den Unterschieden zwischen den Jahren. Der Rückgang von Jahr zu Jahr war aber signifikant und über den gesamten Zeitraum eben im Mittel 75 Prozent. Gibt es weitere Studien mit ähnlicher Tendenz? Neben der "Krefelder Studie" gibt es eine ganze Reihe Studien, die in dieselbe Richtung weisen, allerdings nur wenige, die über einen so langen Zeitraum gehen. Zudem gibt es viele Untersuchungen darüber, wie sich Landnutzung auf Insekten auswirkt. In Deutschland gibt es beispielsweise den DFG-geförderten Schwerpunkt Biodiversitäts-Exploratorien, bei dem in drei Regionen in Deutschland viele Forschergruppen auf denselben Flächen im Forst und im extensiv bewirtschafteten Grasland untersuchen, wie sich etwas intensivere Landnutzung auswirkt. Das bedeutet: Es stehen ein paar mehr Kühe auf einer Weide oder es wird nicht nur einmal, sondern zwei- oder dreimal im Jahr gemäht. Hier zeigt sich auch, dass die intensivere Nutzung dazu führt, dass Insekten stark in Masse und Vielfalt zurückgehen. Und hier handelt es sich noch nicht um Getreide- oder Maisfelder, sondern Wiesen und Weiden. Die Datenlage ist also eindeutig. Für bestimmte intensiv untersuchte Insektengruppen wie Schmetterlinge ist der Rückgang ebenfalls sehr gut dokumentiert, und dies hat Eingang in die Rote Liste gefunden. Was bedeutet das für uns? Für uns ist das Insektensterben von großer Bedeutung aufgrund der vielfältigen Funktionen, die Insekten in Ökosystemen haben. Eine sehr wichtige Funktion ist die Bestäubung von Blütenpflanzen. Die meisten Nutzpflanzen werden von Insekten bestäubt, wie Obstbäume, Beeren oder auch Gemüsepflanzen. Fehlen Insekten, dann ist der Fruchtansatz geringer. In einigen Regionen Chinas oder auch Brasiliens müssen Menschen schon die Bestäubung übernehmen - das können sie aber längst nicht so effizient wie Insekten.
Insekten werden oft mit Schädlingen gleichgesetzt. Ja, wenn man an Stechmücken oder Pflanzenschädlinge denkt. Allerdings gibt es mindestens genauso viele Nützlinge, die eben jene Schädlinge in Schach halten, wie etwa der Marienkäfer, auf dessen Speiseplan Blattläuse eine wichtige Rolle spielen. Oder gerade auch unscheinbare kleine Wespen, die Schädlinge parasitieren. Ein weiteres Beispiel sind Mistkäfer. Sie helfen dabei, Kuhdung in den Boden einzuarbeiten und verhindern damit, dass sich Pathogene gut ausbreiten können. Und nicht zuletzt sind Insekten natürlich wichtig als Nahrung für viele andere Tiere, wie etwa Vögel.
Das Volksbegehren lenkt den Fokus auf Bienen. Tut es das zu Recht?