Druckartikel: Harsdorfer Historiker gibt NS-Opfern ihre Namen zurück

Harsdorfer Historiker gibt NS-Opfern ihre Namen zurück


Autor: Wolfgang Schoberth

Kulmbach, Freitag, 25. Januar 2019

Ekkehard Hübschmann hat eine Dokumentation über vergessene jüdische Familien in Hof vorgelegt. Auch nach Kulmbach bestehen enge Beziehungen.
Am 1. April 1933 halten SA-Posten am Kressenstein 12 mit roten Schildern "Kauft bei keinem Juden" Kunden davon ab, das Schuhgeschäft des Ehepaars Michaelis (Eingang rechts) zu betreten. Links das Textilgeschäft von Josef Wortsmann.  Kulmbacher Stadtarchiv


Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende drohen die Namen zu verlöschen. Die Erinnerung an eine Minderheit, die als Händler und Geschäftsleute das Stadtbild mitprägte, deren Sprache, Religion, Kultur und Brauchtum das Leben bereicherte - dann aber ausgegrenzt, entrechtet, deportiert und in die Vernichtungslager getrieben wurde.

Das gerade erschienene Buch über die jüdischen Familien in Hof möchte dem entgegenwirken. Der Historiker Ekkehard Hübschmann dokumentiert darin akribisch das Schicksal und die Verfolgung von 161 Bürgern, die den Nazis nach den Nürnberger Rassegesetzen als "Juden" galten - unabhängig davon, ob sie der Israelitischen Kultusgemeinde angehörten oder nicht.

In Archiven recherchiert

An sieben Familien wird exemplarisch gezeigt, was "jüdisches Leben" hieß: in seinem Alltag, seinen Familiengeschichten, den geschäftlichen Netzwerken und der immer wieder neu verblüffenden weiträumigen Partnersuche; und schließlich in den Stationen der Verfolgung.

Für die Arbeit hat der Harsdorfer Wissenschaftler vier Jahre in überregionalen und ausländischen Archiven recherchiert. Ohne die Unterstützung der Hofer Hermann-und-Bertl-Müller-Stiftung und weiterer Sponsoren wäre die verdienstvolle, mit zahlreichen Fotos versehene Arbeit nicht zustande gekommen.

Antisemitische Hetze

Zwischen Hof und Kulmbach gibt es zahlreiche Parallelen. Beide Städte sind frühe NS-Hochburgen. An beiden Orten fassen nach dem Ersten Weltkrieg rechtsradikale Bewegungen wie der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund Fuß, die üble antisemitische Hetze betreiben. Und gemeinsam mit anderen fränkischen Städten wetteifern sie, den "Deutschen Tag" durchzuführen - den Aufmarsch von Rechtsparteien, paramilitärischen Kampfverbänden und SA-Kommandos.

Nach Hof reist Adolf Hitler selbst an und spricht am 15. September 1923 vor 40 000 Anhängern. In Kulmbach erfolgte schon vier Wochen vorher, am 12. August, ein Massenaufzug, allerdings ohne den "Führer". Der wird erst 1928 in Kulmbach auftreten. Doch nicht nur die politischen Abläufe verbinden beiden Städte, auch die verwandtschaftlichen Beziehungen jüdischer Familien. Bei Hübschmann wird es bei den Familien Lax und Lump deutlich. Sie sind zugleich ein Lehrbeispiel für frühe Frauenemanzipation, Geschäftstüchtigkeit und unternehmerischen Mut.

Emanzipiert, doch heiratswillig

1906 machen sich zwei Frauen aus Wüstensachsen (Kreis Fulda) allein auf die Reise und mieten sich am Kressenstein 12 in Kulmbach ein. Die 29-jährige Regina und ihre sechs Jahre jüngere Schwester Klara, Töchter des kinderreichen Viehhändlerehepaar Joel und Hanna Lump.

Als gelernte Modistinnen eröffnen sie im Erdgeschoss ein "Putzwarengeschäft" - sprich eine Boutique für Damenhüte. Da der Laden glänzend läuft, übernehmen sie 1910 ein frei gewordenes Hutgeschäft in Hof, Ludwigsstraße 59. Es wird wird von Klara geführt.

Personeller Engpass

Doch als sie 1911 in Kulmbach den israelitischen Religionslehrer Richard Wetzler heiratet, der bald nach Nürnberg abberufen wird, entsteht ein personeller Engpass. Eine dritte Lump-Schwester, Emma (geboren 1881), wird aus Wüstensachsen hierbeigerufen. Als auch Regina in den Stand der Ehe tritt - sie wird in Kulmbach mit dem Zirndorfer Kaufmann Hans Lax getraut und zieht dann nach Hof - , führt Emma das Putzwarengeschäft allein weiter.

Im April 1919 endet die Selbstständigkeit. Emma heiratet den verwitweten Berliner Kaufmann Max Michaelis. Gemeinsam setzen sie auf Expansion: Schon wenige Tage nach ihrer Trauung übernehmen sie den Laden des betagten Schuhhändlers Moses Eisfeld in der Langgasse 19. In der oberen Etage werden breitkrempige Hutmodelle mit Blumenbesatz ausgestellt.

Abtransport in Vernichtungslager

Ob Hof oder Kulmbach, die Abläufe der Verfolgung gleichen sich: Die Juden werden geschnitten, die Zahlungsmoral der Kunden wird immer schäbiger, von ehemaligen Nachbarn werden sie verhöhnt und bespuckt. Von den Partei- und Staatsorganen werden sie mit Hausdurchsuchungen und "Schutzhaft" drangsaliert. Bis 1939 harren Regina und Hans Lax in Hof aus, danach nehmen sie Zuflucht in Leipzig. Im Mai 1942 werden sie dort aufgespürt und in ein polnisches Ghetto transportiert.

Hübschmann kann ihre Spuren bis zum KZ Majdanek bei Lublin verfolgen.

Reginas Schwester Emma und Max Michaelis melden im Februar 1936 ihre beiden Gewerbe in Kulmbach ab und ziehen nach München. Doch ihre Hoffnung, in der Anonymität der Großstadt eine neue Existenz aufzubauen, trügt. Es gibt kein Entrinnen. In kurzen Abständen wird ihnen die Wohnung gekündigt. Max wird Mitte 1937 der Gewerbeschein entzogen. Emma versucht als Putzfrau in der Arztpraxis ihres Vermieters und Nachtschwester im Israelitischen Krankenhaus für sich und ihren Mann einen kärglichen Unterhalt zu sichern.

Tod nach sieben Wochen KZ

Am 3. Juni 1942 werden sie von der Gestapo aus der Wohnung geholt. Zusammen mit anderen Juden treibt man sie zum Bahnhof und deportiert sie nach Theresienstadt. Max übersteht das KZ nur sieben Wochen. Am 31. Juli 1942 stirbt er an Misshandlung, Unterernährung und Seucheninfektion. Emma wird zwei Jahre später, am 18. Mai 1944, nach Auschwitz gebracht. Dass sie überlebt hat, schließt Ekkehard Hübschmann aus.