Handyempfang? Nur am Baumstumpf!
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Donnerstag, 17. April 2014
Er freut sich darüber, kein Mobilfunknetz vor der Haustür zu haben: der frühere Kreisrat der Grünen, Jürgen Öhrlein.
Fast zehn Jahre ist es her: Im Herbst 2004 stellten Kulmbachs Grüne im Kreistag einen Antrag. Inhalt: ein Handy verbot im Schulbus. Begründung: erhöhte Strahlenbelastung in metallischen Fahrgastzellen. Antragsteller: der damalige Vorsitzende der Kreistagsfraktion, Jürgen Öhrlein. Was ist aus seinen Bedenken gegen den Mobilfunk geworden? Wir vereinbaren einen Termin mit Öhrlein - übers Festnetz.
Der Ex-Kreirat (und Ex-Grüne) hat nicht nur in seinen privaten Wohnräumen in Rothwind nahezu alles verbannt, was strahlen kann, sondern auch in den beiden Ferienwohnungen. "Gegen den Elektrosmog, der mich draußen umgibt, kann ich wenig ausrichten. Aber ich kann ihn draußen lassen.
Und drinnen, in meinem unmittelbaren Lebensumfeld, habe ich sehr wohl Einfluss darauf, welchen Gefahren ich mich bewusst aussetzen will oder eben nicht."
Stichwort: Innenraumhygiene
Dazu zählt Öhrlein vor allem Hochfrequenzen, wie sie bei der Installation von WLAN-Techniken auftreten. "Das ist gepulste Strahlung, und die ist besonders kritisch." Seinen Feriengästen kann er versichern: In den Wohnungen sind die Telefone ans Festnetz angeschlossen. Und Internet? In der Broschüre heißt es: "Ein Internetanschluss (Netzwerk, kein WLAN) steht zur Verfügung." Jürgen Öhrlein legt darauf besonderen Wert. "Das ist für mich Bestandteil dessen, was in der Baubiologie als Innenraumhygiene firmiert. Ich habe sorgfältig alle Stromleitungen isoliert, schirme mit beschichteter Dreifach-Verglasung die Strahlung von außen relativ gut ab, habe überall flimmerfreie LED-Lampen." Es gibt Putze und Farben, spezielle Dämm-Materialien. "Manches an vermeintlichen Abschirm-Mechanismen auf dem Markt ist aber mit Vorsicht zu genießen."
Der Architekt hat sich viel Wissen angeeignet über ökologisch gesundes Bauen und Wohnen. "Vielen ist nicht bewusst, was Menschen an Belastungen in Innenräumen erdulden müssen. Die Folge sind schwere Erkrankungen und die Zunahme von Allergien." Was die Belastung durch Mobilfunkstrahlung angeht, so kann der Rothwinder sich über eine Sache freuen, die andere zur Weißglut treibt: "Wir haben hier praktisch kein Netz. Mich freut das ungemein." Es gibt Feriengäste, sagt er, die können sich ein Leben ohne Erreichbarkeit rund um die Uhr nicht vorstellen - und eben die hätten nach zwei Tagen ein Aha-Erlebnis: "Sie merken: Es geht."
Teenies pilgern zum Handyberg
Mancher verliebte Teenager aus der Großstadt, der mit den Eltern ein paar Tage im Kulmbacher Land Urlaub macht, scheint die Kontaktlosigkeit zu dem oder der Liebsten unerträglich. "Ihnen kann geholfen werden", sagt Jürgen Öhrlein, steigt eine Treppe in seinem Garten hinab, vorbei an Hochbeeten, dem Hasen- und Hühnerauslauf, dem Schwimmteich und der Sauna in Fass-Form. Ein Baumstumpf ist der Retter für die Getrennten. "Hier oben ist tatsächlich ein kleiner Fleck Empfang." Er lacht in Gedanken an manchen Heranwachsenden, der hier eine Stunde oder mehr verbrachte.
Kein Handy im Schulbus
Als er noch im Kreistag saß, hatte er sich mal namens der Grünen/Offene Liste für ein Handy verbot in Schulbussen eingesetzt. "Das ist wie im Faradayschen Käfig: In metallischen Fahrgastzellen tritt eine erhebliche Strahlenbelastung auftritt." Wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass Fahrgäste bei der Benutzung von Handys in einen Schnittpunkt mehrerer Signalreflexionen geraten können und sich an solchen Hotspots außergewöhnlich hohe Energiekonzentrationen bilden. Diese Konzentration sei vergleichbar mit den medizinischen Effekten wie bei der Tumorbekämpfung durch Bestrahlung.
"Erreicht haben wir es damals leider nicht", konstatiert er bedauernd. "Auch wollten wir, dass der ständige Ausbau der WLAN-Verbindungen in den Schulen unterbleibt. Es wäre leicht möglich gewesen, weitere Rechner über Kabel ans Netzwerk anzuklemmen. Dazu wurde im Umweltausschuss mal ein Beschluss gefasst." Und nach einem kurzen Zögern ergänzt er: "Soweit ich weiß, ist dieser Beschluss nie aufgehoben worden. Ich bin aber sicher, dass die kabellose Übertragung trotzdem forciert worden ist." Er selber hat tatsächlich ein Handy - aber das tuckert mit ihm auf dem Traktor mit, wenn der Hobby-Landwirt aufs Feld fährt oder in den Wald. Sonst ist es aus. "Für den äußersten Notfall", sagt Jürgen Öhrlein und dreht das Mobiltelefon in die Sonne. Eine Solarzelle ist auf der Rückseite montiert. "Warum soll ich das Handy an eine strahlende Stromquelle anschließen, wenn die Sonne mir das Ding kostenlos auflädt?"
Interview - Beim Netzwerk Risiko Mobilfunk ist Kulmbach ein "weißer Fleck"
Es ist ruhiger geworden ums Thema Mobilfunk. Kaum noch Proteststürme, wenn ein neuer Mast aufgepflanzt wird. Sind die Bürger umgeschwenkt, weil - statistisch gesehen - jeder mittlerweile fast zwei Handys hat? Oder sind mögliche Gesundheitsgefahren keine Diskussion mehr wert, weil sich das Interesse auf Stromtrassen konzentriert? Wir haben nachgefragt bei Joachim Weise, Vorsitzender des Netzwerks Risiko Mobilfunk Oberfranken (NRMO) aus Heinersreuth.
Herr Weise, in der Liste Ihrer Ansprechpartner findet sich keiner für Kulmbach. Welchen Grund hat das? In Coburg beispielsweise gibt es das sehr emsige "Forum Mobilfunk", das sogar der Stadt Standorte für Anlagen empfiehlt.
Joachim Weise: Unsere Kontaktpartner sind vor allem Bürgerinitiativen vor Ort, wie etwa in Bayreuth, Hof, Coburg, Lichtenfels und Kronach. Es gibt sie leider nicht in allen Kommunen. So haben wir unter anderem in Marktredwitz, Forchheim und Kulmbach noch weiße Flecken.
Wie sehr sind mögliche Gefährdungen durch Mobilfunkstrahlung noch in der öffentlichen Diskussion?
Menschen schrecken immer wieder auf, wenn in ihrer unmittelbaren Nähe ein neuer Mobilfunksender gebaut wird. Dann kommt es spontan zu Protestaktionen und Unterschriftensammlungen. Aktuell in Oberfranken zwei Fälle: In Issigau bei Hof gingen die Bürger Anfang des Jahres auf die Barrikaden. In Altenkunstadt läuft eine Unterschriftenaktion gegen Mobilfunksender innerorts, hier entsteht eine Bürgerinitiative. Aufsehen erregte auch eine private Dokumentation von Krebsfällen in Eckersdorf. Nahezu unbemerkt von öffentlichem Interesse läuft der Ausbau bestehender Sendeanlagen in großen Städten. Die meistens Mobilfunkstandorte werden jetzt mit der Sendetechnik LTE aufgerüstet. 2015 soll der Behördenfunk im Probebetrieb senden. Dann ist neue Aufregung zu erwarten.
Machen sich die Menschen zu wenig Gedanken?
Das ist keine Frage. Mittlerweile gibt es in Deutschland 130 Millionen Handyverträge. Da kann die Besorgnis vor einer Gesundheitsbedrohung nicht sehr hoch sein. Die Mobilfunkindustrie betreibt zudem viel Aufwand, um das gesundheitliche Risiko klein zu reden. Lobbyarbeit in den Parlamenten, Einfluss auf die Beratungsgremien der Bundesregierung, Informationsmaterial für Schulen, Seminare für Ärzte etc. Da kommt eine kleine Bürgerinitiative nicht gegen an. Jeder mündige Bürger muss sich selbst Gedanken machen. Starke Hinweise auf gesundheitliche Risiken wurden in zahlreichen Studien aufgezeigt. Sie stehen bald auf unserer Homepage.
Wie halten Sie es persönlich mit dem Handy-Gebrauch?
Ich werde einen Teufel tun, mir ein Mobiltelefon an den Kopf zu halten. Bisher habe ich mein Leben gut ohne organisiert. Es gibt aber Vorstandskollegen, die ihr Notfallhandy dabei haben.