Griechischer Austauschschüler als VdK-Praktikant in Kulmbach
Autor: Dagmar Besand
Kulmbach, Mittwoch, 09. Juli 2014
Der 16-jährige Schüler Christos Tsionas aus Griechenland hat während eines Praktikums beim Kulmbacher VdK viel über das Sozialrecht gelernt. Mit der deutschen Praktikantin Luisa Lindner tauscht er sich über die Situation in beiden Ländern aus.
Christos Tsionas ist erst 16 Jahre alt, aber sein Berufsziel hat der junge Grieche schon fest vor Augen: Er will Anwalt werden. Besonders interessiert sich Christos für das Sozialrecht. Mit seinem Wissen anderen Menschen helfen zu können, ist sein Wunsch. In Thessaloniki besucht der junge Mann die Deutsche Schule und spricht die deutsche Sprache schon sehr gut. Jetzt durfte er für zwei Wochen nach Deutschland reisen, um ein Praktikum beim Vdk-Kreisverband Kulmbach zu absolvieren. "Ich habe das Glück, dass eine meiner Tanten in Kulmbach lebt und für mich diesen Praktikumsplatz gefunden hat", freut sich Christos.
Vor kurzem hat auch Luisa Lindner aus Neuenmarkt ein solches Praktikum beim VdK gemacht. Die 15-Jährige besucht die neunte Klasse des Caspar-Vischer-Gymnasiums und weiß im Gegensatz zu Christos noch nicht recht, was sie einmal beruflich machen möchte. Doch die sozialen Themen interessieren sie sehr.
Extreme Unterschiede
Christos hat ein wenig Einblick in das griechische System, weil seine Mutter in diesem Bereich gearbeitet hat - die allerdings mit knapp über 50 Jahren schon Rentnerin ist. Wie ist das möglich? "Mütter mit vielen Kindern - ich habe noch drei Geschwister - dürfen in Griechenland viel früher in Rente gehen", erzählt der Schüler.
Zwischen der deutschen und der griechischen Sozialversicherung gibt es viele Ähnlichkeiten, weiß VdK-Kreisgeschäftsführer Alexander Wunderlich, "aber beim Thema Rente könnten die Unterschiede nicht größer sein".
Christos geht davon aus, dass sich in seiner Heimat aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise und des nur mit Mühe und starker internationaler Hilfe abgewendeten Staatsbankrotts vieles verändern wird. Die Sozialsysteme sind im Umbruch. Renten, Krankenversicherung, Unterstützung bei Arbeitslosigkeit und Pflegebedürftigkeit stehen auf dem Prüfstand.
Eine Aufgabe für Generationen
"Aber Veränderungen brauchen Zeit. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern dauert Generationen", sagt er und gibt auch zu bedenken, dass viele Menschen auf Unterstützung angewiesen sind: "Wir Griechen sind als Volk nicht so reich. Viele Menschen haben kein Dach über dem Kopf, die Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem unter den Jugendlichen", sagt er. "Das hat ja auch Konsequenzen für die Versorgung im Alter. Und die Renten sind ohnehin nicht hoch." Christos sieht die Europäer gemeinsam in der gesellschaftlichen Gesamtverantwortung: "Wir sind in Europa doch eine Gemeinschaft. Wer immer aufeinander schimpft, ob Deutsche auf Griechen oder umgekehrt, ist oft einfach nur nicht richtig informiert."
Eine unabhängige Institution wie den VdK, die hilft, sich im Gesetzes-Dschungel zurechtzufinden und Ansprüche durchzusetzen, gibt es in Griechenland nicht, bedauert Christos. "Wir haben staatliche Beratungsstellen, aber wenn die zum Beispiel kein Krankengeld bewilligen, dann gibt's halt keins."
VdK-Geschäftsführer Wunderlich hat die Bewerbung des jungen Griechen sofort angenommen. "Wir geben Schülern gerne die Gelegenheit zu einem Praktikum, noch dazu, wenn sie freiwillig ihre Ferien opfern, um bei uns etwas zu lernen."
Viele Menschen brauchen Hilfe
"VdK - Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands". Unter diesem Namen wurde die Vereinigung 1950 gegründet. Ein Club der Alten? Schon längst nicht mehr - das haben die beiden Jugendlichen schnell erkannt. "Ich war überrascht, mit wie vielen verschiedenen Fragen und Problemen die Leute in die Geschäftsstelle kommen", sagt Luisa. "Und es sind erstaunlich viele jüngere Leute, die wegen Behinderungen oder Arbeitsunfähigkeit Hilfe brauchen. Man muss sich mit den Gesetzen auskennen und viel Papierkram erledigen. Wer da keine Erfahrung hat, ist schnell überfordert."
Luisa und Christos hat bei ihren Praktika beeindruckt, was das sechsköpfige Team des VdK Kulmbach für seine mittlerweile 8000 Mitglieder bewegen kann. "Ich sehe jetzt, wie viel Arbeit es auf diesem Gebiet tatsächlich gibt. Man unterschätzt, dass auch bei uns viele Menschen Hilfe brauchen", sagt Luisa.
Die Augen vor den Problemen nicht verschließen, sondern selbst Teil der Lösung werden - das haben sich beide vorgenommen. Christos reist am Donnerstag zurück nach Thessaloniki, mit vielen neuen Erfahrungen und bestärkt im Entschluss, sich nun intensiv mit dem griechischen Sozialrecht zu beschäftigen.
Und Luisa? Der Beruf der Sozialversicherungsfachangestellten reizt sie, und sie kann sich vorstellen, einmal selbst Mitglied im VdK zu werden, "weil diese Hilfe so wichtig ist". Schon jetzt hat sich der Alltag der Schülerin verändert: "Ich habe gesehen, wie gut strukturierte Arbeit aussieht und bin viel ordentlicher geworden."