Gesucht: der Stadtbaum für den Klimawandel
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Freitag, 06. Sept. 2019
Heimische Linde oder asiatischer Ginkgo: Welche Gehölze prägen urbane Flächen, also Parks und Straßenzüge, von morgen?
Die Anforderungen an den urbanen Baum der Zukunft steigen: Resistent gegen neue Schädlingsarten soll er sein, steigende Temperaturen vertragen können und mit (viel) weniger Niederschlag klarkommen. Im "Grünen Labor" in Coburg wachsen diese Bäume von morgen - begutachtet von Studenten von heute.
Genauer gesagt von Gartenbaustudenten der Technischen Hochschule Berlin. Die betreiben unter Anleitung ihres Professors Hartmut Balder im "Lebenden Labor" am Himmelsacker Studien, befassen sich mit heimischen und fremdländischen Gehölzen, aber auch selten gewordenen Obstbäumen wie den Apfelsorten "Coburger Mai" und "Dülmener Rose".
Schlechte Standortwahl
"Es wird, gerade in Städten, viel zu schnell das falsche Gehölz an einen schlechten Standort gepflanzt", sagt Hartmut Balder. Der Grund: Experten drangen mit ihren Ratschlägen oft nicht bis in die entscheidenden Gremien vor. "Dabei war der Gärtner früher nicht umsonst der wichtigste Mann am Königshof." Diesen Rang gelte es, dem Gartenbauer heutiger Prägung wieder einzuräumen. "Gärtner ist ein Hightech-Beruf, der auch große ökonomische Bedeutung hat. Denn es geht nicht bloß darum, welche Gehölze aus dem Osten, Norden, Süden oder Westen für uns infrage kommen, sondern auch, welche Arten wir exportieren könnten."
Vor diesem Hintergrund sei das "Grüne Labor" in Coburg eine einmalige Forschungseinrichtung, aus der sich unbezahlbare Ergebnisse gewinnen ließen. "Was produziere ich wo und wie für welchen Bedarf? Das lässt sich wie in einem Netz erfassen." Balder hofft, dass das Coburger Pilotprojekt Nachahmer in Europa finden wird.
Für Horst Schunk ist das Langzeitprojekt "Grünes Labor" zugleich eines, das Generationen beschäftigt. "Es ist wie ein botanischer Garten", schwärmt der Ex-Vorsitzende des Vereins "Baumfreunde Coburg" und findet es spannend herauszufinden, wie sich Bäume aus den verschiedensten Vegetationszonen in ihrem Wachstum gegenseitig beeinflussen. "Und das, noch dazu, auf dem schweren Coburger Lehmboden", ergänzte Schunk und erzählt, wie der Planer der Anlage, Ingenieur Karl-Heinz Walzer aus Wien, just deswegen Probleme bekam: "Walzer hatte auf seinem Rückflug nach Österreich einen Beutel Lehmboden in einer Tüte bei sich. Am Flughafen wurde er von Sicherheitsleuten zur Seite gebeten - die hielten die helle Erde für Plastiksprengstoff."
Mit einer Eiche fing alles an
Im Herbst 1999 fing alles an - mit der Pflanzung einer Stileiche (siehe dazu die Historie unten). Seither sind 180 verschiedene Exemplare gesetzt worden - aus allen Kontinenten. Gemeinsames Kriterium: Die Arten müssen zwischen dem 40. und 50. Breitengrad wachsen, schließlich sollen sie als Gehölze für Straßen, Plätze und Parks in Deutschland infrage kommen.
Erste wissenschaftliche Ergebnisse aus den bisherigen 20 Jahren werden vermutlich im kommenden Jahr vorgelegt, sagt Horst Schunk. Doch natürlich sprechen die Bäume vor Ort eine beredte Sprache. Manche Arten auf dem 2500 Quadratmeter großem Areal wie die kanadische Hemlocktanne, ein Kieferngewächs, sind demnach ein Komplettausfall - wobei der Coburger auf die Besonderheiten des Standorts hinweist. "Natürlich wird bei uns kein Baum künstlich bewässert, sondern muss mit den Niederschlägen auskommen. Der Lehmboden trocknet gerade in heißen Sommern wie dem von 2018 schnell aus, dabei reißen auch haarfeine Wurzeln ab. Dazu kommen die exponierte Windlage, pralle Sonne im Sommer und Fröste im Winter."