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Geschah in Römersreuth ein Mord wegen eines Schlucks Bier?


Autor: Siegfried Sesselmann

Römersreuth, Freitag, 19. August 2016

Am 8. Dezember 1886 kam es in Römersreuth zu einem "Totschlag am besten Freund wegen einer Lappalie".
Das Foto ist etwa 100 Jahre alt und zeigt den idyllischen Ort Römersreuth, vorne die frühere Gaststätte Fischer. Foto: privat


Vor zwölf Jahren erschien ein Buch des Bayreuthers Helmut Paulus mit dem Titel "Der Oberfränkische Schwurgerichtshof". Darin schildert der Oberamtsrat Rechtssprechungen von 1848 bis 1925 aus Oberfranken. Ein Ereignis tituliert er mit "Totschlag am besten Freund wegen Lappalie in Römersreuth". Leider kommt die Geschichte dazu bei ihm recht kurz, so dass es anregt, sich genauer mit dem Vorfall zu beschäftigen.


Zechgelage zu dritt


Am 8. Dezember 1886 trafen sich drei Freunde in der Nützelschen Wirtschaft in Römersreuth. Die Bauernsöhne Johann Ott (20 Jahre alt) und Joseph Martin (16) saßen zusammen und zechten mit dem 22-jährigen Dienstknecht Heinrich Bitroff. Als der junge Joseph von Heinrichs frisch eingeschenkter Maß Bier trinken wollte, verweigerte dieser die Bitte.


Joseph war verärgert und titulierte den Dienstknecht mit einer Beleidigung - er nannte ihn "Zeusenbuckel". Dann muss es zu einer Rauferei gekommen sein, in deren Verlauf Heinrich Bitroff Joseph Martin einen tödlichen Messerstich in die Brust versetzte.


Woher kam der Täter?


Mehr wird zum Tathergang nicht berichtet - so ergeben sich einige Fragen. Johann Ott und Joseph Martin sind in den Unterlagen des Standesamts Schwand nachweisbar. Der eine stammte aus Römersreuth Nummer 1, Nachkommen leben heute noch in dem Ort. Das Opfer Joseph Martin stammte aus Römersreuth Nummer 4, doch die Familie Martin gibt es seit über 100 Jahren dort nicht mehr.

Doch woher kam der Täter? Der Name Bitroff kommt in unserer Gegend in vielen Schreibvarianten vor: Pittroff, Pittrof, Pitroff, Pitrof. Alle vier Varianten auch mit B als Anfangsbuchstabe sind nachweisbar. Daher ist die Herkunft von Heinrich Bitroff kaum zu lokalisieren. Da er aber heftigst auf das Schimpfwort Zeusenbuckel reagierte, ist anzunehmen, dass es in seiner Familie mütterlicherseits den Namen Zeuß oder Zeus gab.


Spuren führen nach Reichenbach


Dies deutet wiederum in Richtung Reichenbach, wo vor 1880 etwa 20 Mal der Name Zeus auftauchte. In dieser Ortschaft gab es sogar einen größeren Hof mit der Bezeichnung Zeusengut (Hausnummer 18). Ob Heinrich Bitroff tatsächlich einen Buckel hatte, ist unbekannt.

Doch zurück zum 8. Dezember 1886. In den standesamtlichen Unterlagen der Gemeinde Schwand findet man an diesem Datum keinen Eintrag zu einem Todesereignis Joseph Martin. Blättert man etwas weiter, so liest man, der Ökonom Heinrich Martin habe am 22. Dezember 1886 angezeigt, dass sein Sohn Joseph Martin im Alter von 16 Jahren, neun Monaten und 17 Tagen am 21. Dezember 1886 verstorben war.

Doch was geschah zwischen dem 8. und dem 21. Dezember? In dem Eintrag findet sich keinerlei Hinweis auf die Todesursache, auf Messerstecherei und auch nicht, wo der junge Bauernsohn verstarb. War er schwer verletzt zu Hause oder lag er im Bezirkskrankenhaus in Stadtsteinach in der Spitalstraße? Wenn das Datum 8. Dezember stimmt, so ist die Aussage "der Streit, der mit einem tödlichen Messerstich endete" irreführend. Im kurzen Bericht wird die Wirtschaft Nützel in Römersreuth genannt. Niemand kennt diese, auch war der Name Nützel in Römersreuth niemals präsent. Alte Römersreuther berichten von einer Bierwirtschaft Fischer. Um 1900 eröffnete ein Wolfgang Fischer mit seiner Frau Sophie dieses Gasthaus, doch dieses kann nicht gemeint sein. Interessant ist nebenbei, dass dessen Mutter eine geborene Pittroff war.


Hätte es Nüssel heißen müssen?


Tatsächlich kamen um 1875 zwei Brüder, Adam Nüssel und Heinrich Nüssel, aus Wildenstein. Der Erste heiratete in das Anwesen Braunersreuther Nummer 9 a. Adam Nüssel war Zimmermann und Gastwirt. Mit Sicherheit saßen die drei Freunde in der Gastwirtschaft Nüssel und nicht wie in den Akten zu lesen in der Wirtschaft Nützel. Ab 1925 soll der Schwiegersohn Johann Georg Wiedel den Gasthof betrieben haben. Das Gebäude wurde 1945 abgerissen.

Der Angeklagte Heinrich Bitroff wurde fünf Wochen später von zwölf Geschworenen unter Ausschluss mildernder Umstände für schuldig befunden. Der Staatsanwalt beantragte zehn Jahre Zuchthaus. War man mit ihm so hart, weil er nur ein Dienstknecht war oder wollte man ein Exempel statuieren, weil sich in den Jahren 1874 bis 1884 in Oberfranken die Zahl der "Verbrechen gegen das Leben" vervierfacht hatte?


Tödlicher Stich in Brusthöhe


Aus heutiger Sicht handelte es sich weder um Mord noch um Totschlag noch um fahrlässige Tötung, sondern um Körperverletzung mit Todesfolge. Nach heutiger Rechtsprechung müsste man auch von einem minder schweren Fall ausgehen. Joseph Martin hatte den Täter provoziert, das Tatgeschehen ist in gewisser Hinsicht wie ein Unglücksfall anzusehen. Es bestand ein Mitverschulden des Opfers in einer wechselseitig eskalierenden Situation. Wer war der Angreifer? Wer musste sich wehren? Zeugenaussagen liegen nicht vor. Man einigte sich damals auf ebendiese Körperverletzung, aber das Urteil sollte weit höher ausfallen, als es heute der Fall wäre.

Im Kulmbacher Tagblatt vom 1. Februar 1887 wurde der Getötete als ein "sehr friedliebender, braver, allgemein beliebter, bildhübscher Mensch" beschrieben. Ihm wurde ein Stich in die rechte Brust zugefügt, "der den Brustfellsack in weiter Ausdehnung öffnete und der atmosphärischen Luft mit ihren Fäulniskeimen den Zutritt in die Brusthöhle verschaffte".

Heinrich Bitroff wurde schließlich zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Er wurde in das Zuchthaus St. Georgen in Bayreuth gebracht, wo er seine Strafe absitzen sollte, aber dort nur zwei Jahre später, am 14. Juni 1889, verstarb, wie die Gefangenenbücher berichten. Er wurde nach Erlangen überführt und landete wie viele andere Häftlinge in der dortigen Anatomie, um für Medizinstudenten dienlich zu sein. Damals hatte man sowieso mit Problemen zu rechnen, "Mörder" auf einem Friedhof zu beerdigen.


Im Zuchthaus gestorben


Auch wenn es nur "eine Lappalie", also eine Nichtigkeit war, die im Streit eskalierte, ein junger Bauer verlor sein Leben, sein Vater einen Hofnachfolger, aber auch das Leben des Dienstknechts Heinrich Bitroff war nach zwei Jahren Zuchthaus beendet.

Wäre nicht der Enkel des Bruders von Joseph Martin, der ehemalige Förderschulkonrektor Hans-Peter Frankenberger aus Marktgraitz, der den Hinweis in dem Buch lieferte, so wären der "Mord" vor 130 Jahren in Römersreuth und viele Details wahrscheinlich für immer in Vergessenheit geraten.