Geborgenheit für einen Moment
Autor: Katrin Geyer
Kulmbach, Dienstag, 08. Sept. 2015
Die Türkische Gemeinde Kulmbach hat Menschen eingeladen, die Schlimmes hinter sich haben. Auch wenn die Verständigung nicht einfach ist, sind die Gäste dankbar für die Zuwendung, die sie erfahren.
Mohammed Ali ist 16 und er sieht aus, wie Jungs in dem Alter eben so aussehen: Die dunklen Locken nach oben gekämmt, den Reißverschluss der blauen Sweat-Jacke lässig halb geöffnet. Wenn er in flüssigem Englisch erzählt, wo er herkommt und wie es ihm gerade so geht, wirkt er ziemlich cool.
Eine Coolness, die verstört: Aus Somalia sei er, sagt er. Es sei nicht einfach gewesen, nach Deutschland zu kommen. Ob er noch Kontakt nach Somalia hat? Nein, er habe seine ganze Familie dort verloren, deswegen gebe es auch keinen Kontakt. Eine sachliche Schilderung eines tragischen Schicksals.
Die anderen Jungs am Tisch verstehen nur ansatzweise, was Mohammed Ali da erzählt. Ein paar Brocken Englisch beherrschen sie, ein paar Worte Deutsch: "Wie geht es dir?", "Danke" oder "Tschüß". In der Sprache ihrer Heimat, die irgendwo in Pakistan oder in Bangladesh liegt, können sie hier mit kaum jemandem reden. Aber in der Aufnahmeeinrichtung der Arbeiterwohlfahrt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, wie sie offiziell heißen, sind sie immerhin eines: sicher.
Nun sitzen die Jungs im Sportheim des Vereins Vatanspor in Weiher an einem Tisch, essen mit großem Appetit Fleisch, Reis und Linsensuppe, und beantworten zigmal an diesem Abend die Frage: "Wo kommst du her?"
Gastgeber ist die Türkische Gemeinde Kulmbach. "Wir wollen helfen, wir wollen auch etwas für die Flüchtlinge tun", sagt deren Vorsitzender Serkan Uzun. Deshalb habe man die Flüchtlinge eingeladen: Mohammed Ali und seine jungen Freunde, aber auch die erst in den letzten Tagen in der Dreifachsporthalle eingetroffenen Männer, Frauen und Kinder, für die das gemeinsame Abendessen eine kleine Gelegenheit ist, um aufzuatmen, für kurze Zeit zu auszublenden, was hinter ihnen liegt. Am Dienstagmorgen sind die meisten von ihnen schon wieder auf dem Weg - irgendwohin in Deutschland.
Im Sportheim herrscht babylonisches Sprachgewirr. Serkan Uzun begrüßt die Gäste auf Deutsch, Manhal Kheshfa, ein Flüchtling aus Syrien, der seit einigen Monaten in Deutschland lebt, übersetzt ins Arabische. Landrat Klaus Peter Söllner sagt ein paar Worte. Dankt den vielen ehrenamtlichen Helfern, die sich seit Wochen der Flüchtlinge annehmen. "Sie haben Schlimmes erlebt", sagt er zu den Flüchtlingen. "Wir Deutschen haben die Verpflichtung, Sie gut zu behandeln."
Die Lautsprecheranlage ist schlecht ausgesteuert, so dass vermutlich kaum jemand ein Wort versteht. Aber die Gäste applaudieren laut. Oberbürgermeister Henry Schramm fachsimpelt mit ein paar jungen Männern über Fußball. Es spricht sich herum, dass auch er wohl ein wichtiger Mann ist, weshalb sich die Burschen unbedingt mit ihm fotografieren lassen wollen.
Für einen Moment wird es still im Saal: Bünyamin Kayikci, der neue Hodscha der Türkischen Gemeinde, selbst erst seit zwei Wochen in Kulmbach und des Deutschen noch nicht mächtig, rezitiert aus dem Koran: Die Sure 49, die zur Versöhnung unter den Völkern aufruft.
Viele der Gäste halten auch diesen Moment mit dem Smartphone fest. Vielleicht berichten sie in diesen Tagen ihren Angehörigen irgendwo auf der Welt, dass sie in Kulmbach freundlich aufgenommen und gut bewirtet worden sind
Ein Wort haben die meisten von ihnen schon auf Deutsch gelernt. Und das ist an diesem Abend ganz häufig zu hören: "Dankeschön!"