Druckartikel: Ganz Trebgast wartet wieder auf die Radaubrüder

Ganz Trebgast wartet wieder auf die Radaubrüder


Autor: Dieter Hübner

Trebgast, Freitag, 15. Dezember 2017

Am Heiligen Abend pflegen zehn ledige Trebgaster einen uralten Brauch: Die "Strohberta" geht um.
Die geschnitzte Holzkassette, die die Chronik beinhaltet, und die zehn geschnitzten Holzfiguren der "Strohberta" Foto: Dieter Hübner


Ein Spätherbst kurz vor der Jahrtausendwende. Draußen wird es langsam ungemütlich. Drinnen am Stammtisch kommt die Sprache langsam auf Weihnachten im Allgemeinen, und auf eine alte Tradition am Heiligen Abend im Besonderen: Die "Strohberta".


Furchterregende Verkleidung


Eine Formation, die es in der Region in dieser Form nur noch in Trebgast gibt. Zehn unverheiratete junge Männer, die den ganzen Tag lärmend und schreiend durch den Ort laufen. Trotz ihrer teilweise furchterregenden Verkleidung und ihres Krawalls sind sie in jedem Haus willkommen, werden hier mit einem Glühwein, dort mit einem Schnaps und wieder woanders mit einer Brotzeit versorgt.
Und überall bekommen sie Spenden, die am Ende wohltätigen Zwecken zugutekommen.

Die Route ist seit Jahren festgelegt. Vom Schulhaus geht es in obere Dorf bis zur Brauerei, zurück über die Kulmbacher in die Lindauer Straße (mit Abzweig Gartenstraße), über den Weiherweg zum Sommeracker, Hangstraße und Bühl, weiter zum Baugebiet "In der Flur", und über die Berliner Straße wieder zur Ortsmitte.

Natürlich kann die Gruppe nicht jede Straße besuchen. Beispielsweise können die Bewohner der Bayreuther Straße die Gelegenheit wahrnehmen, die "Strohberta" gegen Mittag auf dem Marktplatz zu treffen.


Wette am Stammtisch


Aber bleiben wir bei den Stammtischlern. Einer von ihnen, Peter Oehmig, erinnert sich, ab 1976 selbst viermal im Kostüm der "Strohberta" mitgemacht zu haben. Sein Gegenüber konfrontiert ihn nach kurzer Überlegung mit der Aussage: "Du warst sogar fünfmal die ,Strohberta'." Trotz längerer hitziger Debatte: Eine Klärung direkt vor Ort war unmöglich.

Einzige logische Folge: Eine Wette. Einsatz: Ein Kasten Bier. Für Peter Oehmig war das der Anlass, sich mit dem Phänomen "Strohberta" näher zu beschäftigen. Er sammelte Daten, befragte Zeitgenossen, von denen er wusste, dass sie irgendwann bei der Gruppe aktiv waren, und vor allem ältere Bürger.

Viele Informationen erhielt er von Emil Götz und Karl Bauer: Nach deren Aussagen ist der Brauch wohl bereits in der Zeit entstanden, als Neujahr noch mit dem Weihnachtsfest zusammenfiel. Bekannt ist ein Fall, dass die Burschen einmal kurz vor dem Ersten Weltkrieg wegen ihres Umzugs angezeigt und bestraft wurden. Am nächsten Heiligabend ging die "Berta" aber wieder im Dorf "rum".


Holzbildhauer half


Überliefert ist auch, dass während der Nazizeit der Umzug verboten war. Ab Weihnachten 1945 wurde der Brauch wieder aufgenommen und bis heute aufrechterhalten. Eine - für Peter Oehmig negative - Folge seiner Recherchen: Den Kasten Bier hat er verloren. Aber er kam zu dem Schluss, die auf losen Zetteln gewonnenen und gesammelten Informationen Jahr für Jahr auf Büttenpapier im DIN- A3-Format festzuhalten.

Beim Holzbildhauer Norbert Potzel in Lindau ließ er die passende Aufbewahrung für eine Chronik anfertigen: Eine entsprechend große geschlossene Kassette aus Lindenholz. Den Deckel schmücken, kunstvoll geschnitzt, ein Trebgaster Straßenbild mit der Kirche und die zehn Figuren.
Im Dezember 2002 stellte Peter Oehmig die Chronik der Öffentlichkeit vor.

Mit dem Jahr 1917 beginnt die erste Seite der Chronik. Seither ist sie jedes Jahr um ein neues Blatt gewachsen. Das bedeutet, diese Holzkassette beinhaltet derzeit "100 Jahre Strohberta-Geschichte".
Maßgeblichen Anteil daran hat Ute Blobner. Sie kümmert sich darum, dass die Aufzeichnungen mit den jeweiligen Namen der jährlich wechselnden Darsteller und mit dem entsprechenden Bildmaterial komplettiert werden.


Dokument der Zeitgeschichte


Im Zeitalter der Digitalisierung ist diese Art der Aufzeichnung vielleicht überholt. Aber es ist ein Dokument der Zeitgeschichte, das in dieser Form unbedingt erhalten, fortgeführt, und damit auch nachfolgenden Generationen erhalten werden muss. Dieser Meinung ist auch der Chef der einheimischen Brauerei. Der "Bräu", in der Region Vorreiter, als es darum ging, die ersten Bio-Biere zu produzieren, ist offen für alles, wenn es um Traditionen geht. So war es eigentlich logisch, dass ihm gerade jetzt die Idee zu einem "Strohberta-Bier" kam.

Hans Wernlein beschreibt sein neuestes Produkt so: Ein dunkles Bier mit 4,9 Prozent Alkohol, aus naturbelassenen Rohstoffen, mit Öko-Gerstenmalz und Öko-Hopfen, unfiltriert, kupferrot, etwas malziger, nicht übertrieben hopfig, leichte Fruchtigkeit im Nachgang. Das Besondere daran: An jeder Flasche hängt ein Tütchen mit Utensilien der "Strohberta", nämlich Stroh und Linsen. Außerdem ein Anhänger, in dem der Brauch in wenigen Sätzen erklärt wird.