Freundschaft bis zuletzt
Autor: Wolfgang Schoberth
Kulmbach, Donnerstag, 08. November 2018
Der 89-jährige Friedrich Schuberth erinnert sich an jüdische Mitbürger und einen Kameraden, der sein junges Leben einem Wahn geopfert hat.
Es gibt Geschichten, die brennen sich ein. Sie werden im Alter drängender. Friedrich Schuberth steht im 90. Lebensjahr. Vor einem guten Jahr ist er von dem Haus am Kronhüttenweg, in dem seine Frau noch wohnt, in das Heiner-Stenglein-Senioren- und Pflegeheim Am Rasen umgezogen. Früher hat er als Industriekaufmann in der Plüschfabrik Türk & Kneitz gearbeitet. In seiner heiteren Art, mit blitzenden Augen und schalkhaftem Lachen, sorgt er für gute Laune im Haus. Auf seinem Tisch in seinem Zimmer steht eine alte Olympia, eine mechanische Schreibmaschine, auf der er seine Briefe tippt und Erinnerungen festhält. Wenn er erzählt, 70, 80 Jahre zurück, ist es so lebendig, als wenn's gestern gewesen wäre. Ein alter Mann, der Geschichten los werden möchte.
Flakhelfer in Forchheim
"Ich war ein glühender Hitler-Anhänger", gesteht er. "Wir wurden verführt und verheizt", setzt er hinzu. Mit zehn tritt er beim Jungvolk ein. "Wir Jungs waren begeistert. Die HJ hat uns was geboten - Lagerfeuerromantik, sportliche Wettkämpfe, weg von den Eltern unter Freunden sein. Für uns war es die Freiheit und Abenteuer". Bis heute schwärmt er von einem Besuch auf dem Segelschulschiff "Admiral von Trotta" im Stettiner Haff.
Am 25. März 1945 wird er mit den anderen 16-Jährigen im Kulmbacher Vereinshaus auf den "Führer vereidigt", anschließend "Jugendweihe" auf dem Marktplatz. Drei Tage später - die US-Panzerspitzen stehen schon vor Aschaffenburg - wird er als "Kriegsfreiwilliger" einberufen und einer Flak-Batterie bei Forchheim zugewiesen. In einer Mischung aus Angst, Stolz und patriotischer Pflicht ist er für sechs Wochen einer der Kindersoldaten Hitlers, die in einen sinnlosen Abwehrkampf geschickt wurden. "Wir waren in unseren Gefühlen zerrissen, einer jahrelangen Gehirnwäsche ausgesetzt. Gottlob habe ich die Zeit heil überstanden", sagt er.
HJ-Kamerad erschossen
Als er im Mai 1945 nach Kulmbach zurückkehrt, erfährt er von zwei Vorgängen, die sich ihm bis heute eingebrannt haben: Er wird zu einem Holzkreuz auf der Forstlahmer Höhe an der Alten Bayreuther Straße geführt. Er hört, dass hier sein HJ-Kamerad Siegfried Wölfel begraben liege. Beim Einmarsch der US-Panzerdivision am 13. April 1945 habe er sich noch in einem Wehrmachts-Lkw befunden, den die Amerikaner unter MG-Feuer genommen haben. Siegfried, der Mittlere von drei Brüdern, die in der Blaicher Hermann-Limmer-Straße wohnten, war ein guter Freund von ihm. "Irgendwann wurde er gezwungen, die SS-Junkerschule in Bad Tölz zu besuchen. Von da an verlor sich unser Kontakt", sagt Fritz Schuberth.
Auch Hans Nützel (87), der als 15-Jähriger zum "Volkssturm" beordert wurde, hat Wölfel gut gekannt. Die Hintergründe von dessen Aktion bei Forstlahm sind ihm ein Rätsel. "Wir haben uns allesamt Stunden vor dem Einmarsch der Amerikaner ins Oberland verdünnisiert. Warum Siegfried geblieben ist, ist mysteriös. Vermutlich war die SS im Spiel. Auch sein jüngerer Bruder Viktor hat in der Nachkriegszeit über den Tod keine Silbe verloren", so der frühere Diplomingenieur.
Seit Jahren verfolgt Pfarrer Klaus Kuhrau alle möglichen Spuren, die zum Grab des "Unbekannten deutschen Soldaten" im Mangersreuther Friedhof führen. Sicher ist nur, dass der Tote, der nach der Besatzung ohne Soldbuch und Erkennungsmarke auf der Forstlahmer Höhe gefunden wurde, ursprünglich dort beigesetzt worden war. Beim Ausbau der B 85 wurde er dann nach Mangersreuth umgebettet. Durch Schuberths Erinnerungen könnte das Rätsel um die Identität des Toten gelöst sein.
Ins Vernichtungslager abtransportiert
Bald nach seiner Rückkehr gab es dann ein Gespräch mit seiner Mutter - ein Gespräch über die Ermordung der Familie Davidsohn. "Mutter wollte nicht schweigen, nicht verdrängen. Sie erzählte mir von ihrer Freundschaft zu Berta Davidsohn, die blieb, bis sie sie geholt haben ", so der 89-Jährige. Frieda Münch und die vier Jahre ältere Berta Marcus (1893 geboren) wohnten in der Basteigasse 14 Tür an Tür. Täglich gingen sie zusammen zur Oberen Schule. Sie waren unzertrennlich, teilten jedes Geheimnis. Später ging jede ihren Weg.