Fahrrad-Boom sorgt für fast leere Läden
Autor: Christine Fischer
Kulmbach, Sonntag, 25. Juli 2021
Die Nachfrage übersteigt das Angebot bei weitem, und die Unterbrechung der Lieferketten im Lockdown hat ihr Übriges getan. Wer sich aktuell ein neues Fahrrad zulegen will, muss viel Geduld oder einfach nur Glück haben.
Fahrradfahren boomt wie nie. Erst kam der Siegeszug der E-Bikes, und dann haben im Lockdown viele das Radeln (wieder) für sich entdeckt. Der Dachverband der europäischen Fahrrad-, Pedelec-, Teile- und Zubehörindustrie, Conebi, hat dies erst in der vergangenen Woche mit eindrucksvollen Zahlen belegt. Laut Marktprofil der europäischen Fahrradindustrie wurden 2020 in Europa 40 Prozent mehr Fahrräder verkauft. Der Absatz stieg auf ein 20-Jahres-Hoch von 18,3 Euro Milliarden Euro oder 22 Millionen verkauften Einheiten (Fahrräder und Pedelecs).
"Die Nachfrage ist extrem hoch", weiß auch Jörg Geuther vom Kulmbacher Fahrradgeschäft "Eldorado". So hoch, dass sie mittlerweile sogar das Angebot übersteigt, sagt der zweite Kulmbacher Fahrradhändler, Jochen Blindzellner vom "Icehouse". Das Problem: Zum Run auf die Radläden kam die pandemiebedingte Unterbrechung der Lieferketten - vor allem im vergangenen Jahr -, was dazu geführt hat, dass die Lager bei den Komponentenherstellern schlicht leer sind. Egal ob Schaltung, Bremsen oder anderes, "die Zulieferer kommen einfach nicht hinterher", so Jörg Geuther.
Wer aktuell ein neues Fahrrad haben möchte, muss sich in Geduld üben. Vor allem, wenn man vorhat, sich ein E-Mountainbike zuzulegen, "da sind wir zum Teil im Jahr 2023 für die Auslieferung", so Eldorado-Inhaber Geuther. Wer flexibel ist, hat bessere Karten: "Ich habe schon noch viele Räder zum Verkauf, aber wenn halt nicht das Passende dabei ist, wird es schwierig."
Gerade einmal zehn Fahrräder, die Kunden sofort kaufen könnten, hat Jochen Blindzellner aktuell im "Icehouse" stehen. Der Rest ist bereits reserviert oder noch gar nicht geliefert worden. "Eigentlich sollten im Juli 30 Räder kommen, aber die Lieferung wurde nun auf September verschoben." Von seiner Vororder aus dem vergangenen September (rund 350 Fahrräder, die bereits zu 50 Prozent reserviert ist) ist bislang nur ein Bruchteil angekommen. Einen festen Liefertermin für ein Fahrrad könne er derzeit nicht zusagen, so Blindzellner.
Die Kunden - übrigens immer mehr, die sich für ein Rad-Leasing über den Arbeitgeber entscheiden - hätten für die Situation größtenteils Verständnis, nur manche reagierten ungläubig ("Ich will doch nur ein Fahrrad kaufen"). Der Tipp des "Icehouse"-Inhabers: Wer sich ein Bike kaufen möchte, sollte sich frühzeitig darum kümmern und eine entsprechend lange Lieferzeit einkalkulieren, denn auch nächstes Jahr soll es laut Industrie noch zu Engpässen kommen. "Mit einer Erleichterung wird erst ab 2023 gerechnet", sagt Blindzellner.
Etwas drastischer formuliert es der Neuenmarkter Fahrradhändler Jürgen Schulz: "Wir haben die DDR 2.0. Jetzt musst du dich in die Reihe stellen, wenn du was haben willst." Sein Laden steht zwar voller Räder, aber alle sind bereits verkauft. Wenn man jetzt ein neues Bike nach individuellen Wünschen bei ihm bestellen will, hat man mit viel Glück eine Lieferzeit von einem halben Jahr. Aber so genau kann Jürgen Schulz das nicht sagen, "das ist immer ein bisschen ein Überraschungspaket".
Es fehlt an Rohstoffen
Das Problem seien die Rohstoffe und Einzelteile, sagt Schulz. Der Markt sei regelrecht kollabiert, "es gibt eine riesen Nachfrage auf ein nicht vorhandenes Angebot". Shimano, weltgrößter Hersteller von Fahrradkomponenten aus Japan, bekomme selbst keine Rohstoffe mehr und gebe schon lange keine festen Lieferzeiten mehr an. Jetzt zeige sich, wie abhängig der Weltmarkt von Asien sei. "Wir stehen nackt da, wenn aus China nichts kommt", bekundet Schulz. Eine weitere Folge: "Die Preise gehen durch die Decke." Schläuche seien zum Beispiel 40 Prozent teurer geworden.
Bei den Herstellern hat man dieses Problem wohl erkannt. "Wir müssen mehr in die lokale Produktion investieren. Nach aktuellen Prognosen erwarten wir, dass sich der Wert der in Europa produzierten Teile bis 2025 auf sechs Milliarden Euro verdoppeln wird", so Conebi-Präsident Erhard Büchel.
Jürgen Schulz sorgt sich trotzdem um seine Branche, die bislang eher kleinstrukturiert mit vielen privaten Einzelunternehmen ist. Er befürchtet, dass frustrierte Kunden auf die großen Onlinehändler ausweichen und die kleinen Betriebe vor Ort Pleite gehen.