"Eulenspiegels Enkel" in Presseck
Autor: Klaus Klaschka
Presseck, Sonntag, 11. März 2018
Ein satirisches Zerrbild der Welt führte Markus Veith in dem Stück "Eulenspiegels Enkel" seinem Publikum in Presseck vor.
Dass Satire alles darf, wissen wir von Kurt Tucholski, spätestens aber seit dem Gedicht-Streit Böhmermann-Erdogan. Dass Satire aber treffsicherer als alle Demoskopie auch Künftiges voraussieht, das wissen wir nun von Markus Veith.
Mit seinem Stück "Eulenspiegels Enkel" gastierte er am Samstag auf Einladung des Vereins "Kultur auf der Höhe" im Pressecker Paulusheim. Als Kunstfigur Erasmus Odysseus reimte er einen 2-Stunden-Monolog auf der Bühne und bastelt sich aus diversen Beobachtungen eine Nebenwelt zusammen, die der wahrzunehmenden Welt nicht nur gleicht, sondern sie sogar schärfer sieht. Kurzum: Dass Donald Trump Präsident der USA wird, wusste Veith alias Erasmus schon vor sechs Jahren.
Aber von Anfang an: Erasmus Odysseus ist ein Kind seiner Zeit. Trotz antiautoritärer und physisch gewaltfreier Erziehung in den 1970er und -80er Jahren erfuhr er psychische Gewalt, eben seine Erziehung, indem er als Spross aus dem Bildungsbürgertum zum Auswendiglernen von Dichtung genötigt wurde. Die Erlaubnis zum Anschauen banaler Fernsehprogramme musste er sich erst durch das Rezitieren deutscher Poetik verdienen.
Das hat pathologische Auswirkungen: Erasmus kann nur noch in Reimen reden, er ist damit zum Außenseiter geworden, wird entweder nicht verstanden oder ausgelacht. Die Bildungsrepublik Deutschland hinterlässt so ihre Spuren, indem sie der banalen Welt eine philosophisch-poetische Sphäre überstülpt, mit der gut gemeinte, abstrakte Prinzipien die Sicherung der banalen Existenz dominieren. Und genau darin scheitert Erasmus, denn mit seinem zwanghaften In-Reimen-Reden ist er für den Alltag nicht tauglich. Nicht einmal als Verkäufer in einem Warenhaus.
"Die Realität ist eine Karikatur"
"Die Realität ist eine Karikatur," sagt er. Hatten sich feudale Herrscher nicht schon immer einen Narren gehalten, der ungestraft tun durfte, was er wollte? Ist nicht schon immer Kritik oder die Darstellung der Realität im Mantel des Witzes eine Möglichkeit, von inkonsequentem Handeln abzulenken, nachdem man darüber lachen konnte?Erasmus macht sich diese Erkenntnis zum Lebensprinzip: Er hält der Welt seinen Spiegel vor, den die Welt aber als Zerrspiegel wahrnimmt und in ihrem Handeln mit den konventionellen Reflexen weiterfährt. Erasmus wird damit zum einsamen Außenseiter, bis er einer Frau begegnet, die in der gleichen Welt lebt wie er. Sie stellte zwei Schuhe auf eine Parkbank, dazwischen eine Büchse und dahinter ein Schild "Unsichtbarer Nackter bittet um eine Spende".
Und tatsächlich reagierten Passanten darauf wie gewohnt: Der eine und andere warf ein mildtätiges Scherflein in die Büchse. Erasmus blickt in die Zukunft und erkennt, ganz Bildungsbürger, dass Heideggers Phänomenalogie (Erkenntnistheorie) aus analogen Zeiten nicht mehr gilt, denn: Wenn etwas ist, dann muss es heutzutage auch bei google erscheinen. Durch Facebook & Co. sind ganz andere Kriterien der Wirklichkeit entstanden: Es geht in erster Linie und nur noch um quantitive Zustimmung. Je mehr "likes" desto besser. So beschließt Erasmus, seine Zerrbild-Vorstellungen, absurd oder real, "wwweltweit" zu verbreiten. Und sie werden als amüsant empfunden, sie werden gemocht. Erasmus wird mit immer mehr "likes" überhäuft.
Grotesk wird die Geschichte, als er beschließt, seine Beliebtheit zu nutzen und Präsident werden zu wollen. Nicht dass er ein politisches Programm hätte. Nein, er nagelt sein präsidiales Handeln aus den Brettern zusammen, für die er die meiste Zustimmung erhalten hatte.
Zum Präsidenten gewählt, ist seine erste Amtshandlung die Teilnahme an einer Kochshow. Donald Trump war, als Markus Veith das Stück schrieb, nicht in aller Munde. Die oft ungereimten Mechanismen von menschlichem Handeln und die Kommunikation darüber scheinen ein allgegenwärtiges Phänomen zu sein. Erasmus sagt das poetisch: "Es gibt kein Wort, das sich auf ,Mensch‘ reimt."
Veith hat mit "Eulenspiegels Enkel" eine Satire geschrieben über Anspruch und tatsächlichem Handeln, die im Mantel des Humors daher kommt, in letzter Konsequenz aber kein Zerrspiegel ist, sondern viel eher ein Abbild der Realität.
Das Ende der Geschichte: Geschockt von alledem verliert Erasmus seinen Reimzwang, wirft alles hin - und erkennt gleichzeitig, dass er damit einen bedeutenden Teil seiner bisherigen Identität verloren hat. Diese Voraussage kann bis jetzt allerdings (noch) nicht in der Realität festgestellt werden.