Erschöpft, aber in Sicherheit
Autor: Christine Fischer
Kulmbach, Dienstag, 15. März 2022
Die 39 Ukrainer, die am Dienstag im Landkreis angekommen sind, haben traumatische Tage des Krieges und der Flucht hinter sich.
Ein eigenes Zimmer für sich und ihre Tochter - mehr ist es nicht, was die 40-jährige Anna nach einer tagelangen und kräftezehrenden Flucht aus der Ukraine mit einer unendlichen Dankbarkeit erfüllt. Und diese eigenen vier Wände bekommt sie jetzt im Landkreis Kulmbach, bei hilfsbereiten Menschen, die ihre Übernachtungsmöglichkeit dem Landratsamt gemeldet haben. Anna und ihre elfjährige Tochter Sophia gehören zu den ersten, zentral von der Regierung von Oberfranken zugeteilten Ukraine-Flüchtlingen, die am Dienstagmittag mit dem Bus vom Ankerzentrum Bamberg nach Kulmbach gebracht wurden. Insgesamt 39 Geflüchtete sind in diesem ersten Transport angekommen. 17 Frauen, 14 Kinder und acht Männer. Sie alle werden nun bei Privatleuten im ganzen Landkreis untergebracht, wo sie einen warmen und vor allem sicheren Zufluchtsort finden.
Nicht viel Gepäck
Die Strapazen und Schrecken der vergangenen Tage stehen den Menschen ins Gesicht geschrieben, als sie am Dienstag um kurz nach 12 Uhr an der Turnhalle des Markgraf-Georg-Friedrich-Gymnasiums aus dem Bus steigen. Viel Gepäck haben sie nicht dabei. Die wenigen Habseligkeiten finden in kleinen Trolleys, Reisetaschen oder gar nur Plastiksäcken Platz. Die MGF-Turnhalle war am Wochenende kurzerhand von zahlreichen, ehrenamtlichen Helfern des BRK-Kreisverbandes Kulmbach und des THW zur zentralen Anlauf- und Registrierungsstelle für den Landkreis umgebaut worden.
Dolmetscher und Gulaschsuppe
Dort werden die 39 Flüchtlinge gestern von fleißigen Helfern des BRK und Landrat Klaus Peter Söllner mit seinem Team erwartet und in Empfang genommen. Auch Schulleiter Horst Pfadenhauer und einige Lehrkräfte packen tatkräftig mit an, "wir helfen, wo wir können", sagt er. Dolmetscher stehen bereit, alle Hinweisschilder und Infoblätter, die auch vom Landrat höchstpersönlich verteilt werden, sind in ukrainischer Sprache verfasst. Es herrscht eine geschäftige und dennoch entspannte Atmosphäre. Die Geflüchteten haben die Gelegenheit, in Ruhe anzukommen und sich erst einmal mit Getränken und Gulaschsuppe zu stärken. Während die Eltern alle nötigen Anmeldeformulare ausfüllen und mit den wichtigsten Informationen versorgt werden, können die Kinder und Jugendlichen mit Malsachen und Spielzeug oder bei einem kleinen Fußballmatch mit dem Landrat auf andere Gedanken kommen.
Tote und Verletzte am Straßenrand
Und das ist wichtig. Zu traumatisch waren die Erlebnisse der vergangenen Tage. Anna hat Tränen in den Augen, als sie von ihrer Flucht mit ihrer Tochter Sophia (11) aus Dnepropetrowsk im Südosten der Ukraine erzählt - mit Hilfe von Dolmetscher Roman Konovalov, der selbst erst vor zwei Wochen mit seiner Familie aus Mariupol geflohen ist. Als in der Nähe von Annas Wohnhaus die Raketen und Bomben einschlugen, vibrierten bei ihr die Türen. Zusammen mit sechs anderen Menschen hat die kleine Familie auf der Ladefläche eines Pritschenwagens auf einem Matratzenlager die Flucht angetreten. Vier Tage hat die Fahrt bis zur polnischen Grenze gedauert. Es ging nur langsam vorwärts angesichts langer Staus auf den Straßen. Unterwegs haben Anna und ihre Tochter unvorstellbares Leid gesehen, Tote und schwer Verletzte, darunter auch viele Kinder. Aus Panik, selbst unter Beschuss zu geraten, stieg niemand aus, um zu helfen, Krankenwagen kamen auch nicht durch, "die bleiben einfach am Straßenrand liegen".
36 Stunden warten an der Grenze
Die 40-Jährige ist froh, nach dem überfüllten Ankerzentrum nun in Kulmbach zu sein. Auch Oleksandr Ostrovskyl, der mit Frau Nataliia und drei jüngeren Kindern Nikita, Kiril und Matvii geflohen ist (der Älteste studiert und ist nicht mitgekommen), ist dankbar für die "tolle Organisation" in Kulmbach, wie er selbst in gebrochenem Deutsch sagen kann. Sichtlich erschöpft sind die fünf, aber erleichtert, hier nun so herzlich aufgenommen zu werden. Drei Tage dauerte die Flucht der fünfköpfigen Familie aus der Nähe von Kiew über Polen und Tschechien. Allein am ukrainisch-polnischen Grenzübergang mussten sie 36 Stunden anstehen und warten. Der Antrieb für die Flucht war die nackte Angst, "Angst um meine Kinder", sagt der Vater.
Aufruf zu Solidarität und Hilfe
Im Landkreis ist die Familie genauso wie die anderen angekommenen Flüchtlinge aus der Ukraine nun in Sicherheit. Und die Menschen können sich schnell und unbürokratisch integrieren. "Die Leute können sich bei der Arbeitsagentur melden und theoretisch gleich arbeiten", sagt Landrat Klaus Peter Söllner. Er ist sich sicher, dass noch viel mehr Flüchtlinge kommen werden, "solange der Typ in Moskau nicht nachlässt". Im Landkreis sei man gewappnet und habe mit den Turnhallen von CVG und Realschule auch noch weitere Unterbringungsmöglichkeiten. Söllner appellierte trotzdem an die Bevölkerung, weiterhin möglichen Wohnraum beim Landratsamt zu melden und sich ehrenamtlich zu engagieren. Ähnliche Töne schlug Schulleiter Horst Pfadenhauer an: "Die Solidarität ist toll, hoffentlich bleibt sie erhalten."