Druckartikel: Eine (fast) vergessene Idylle

Eine (fast) vergessene Idylle


Autor: Siegfried Sesselmann

Stadtsteinach, Montag, 26. Oktober 2015

Das Berg-Café Schwarzer war in Stadtsteinach einst ein Besuchermagnet. Die Stationierung des Bundesgrenzschutzes sorgte (nicht nur) für eine gastronomische Blütezeit in der ehemaligen Kreisstadt.
Das Berg-Café in Stadtsteinach war leider nur vier Jahre in Betrieb, jedoch von vielen Einheimischen, Urlaubern und Grenzern hoch geschätzt. Reproduktionen: Siegfried Sesselmann


Gespräch vor einiger Zeit bei einem Stadtsteinacher Friseur: Ein älterer Mann sitzt auf dem Frisierstuhl, zwei jüngere warten gelangweilt. Aus heiterem Himmel fragt der eine belanglos: "Wie viele Wirtshäuser gibt es eigentlich heute noch in Stanich, die mindestens sechs Tage in der Woche geöffnet haben?" Jeder, auch der Friseur, beginnt stillschweigend zu zählen. Und um ganz sicher zu sein, gebraucht man die Finger dazu. Doch keiner kommt über eine Hand hinaus.

Nun meldet sich der ältere Kunde zu Wort, während seine neue Frisur Schnitt für Schnitt Gestalt annimmt. "Um 1950 weiß ich von 14 Wirtshäusern im engeren Stadtgebiet. Und zehn so außen herum - ohne die Flaschenbierhandlungen." Die Wartenden meinen, der Opa übertreibt. Doch als er aufzuzählen anfängt, hören sie interessiert und erstaunt zu.


Versteckte Schönheit

Was der Nachwuchs gar nicht kennt: das Berg-Café im Lindenweg an der Auffahrtsstraße zur Siedlung Flürlein, rechts auf halbem Weg. Früher hatte das Gebiet den Flurnamen Scherlitzgrund. Mit der Zeit sind Büsche und Bäume dort so gewachsen, dass das ansehnliche Gebäude für den Betrachter fast verschwunden ist. Nur die lange Treppe aus Steinen des Bergfelds lässt vermuten, dass sie zu einem Haus führt.

Im Jahre 1949 baute der Büttner und Landwirt Andreas Waas (1897 bis 1978) aus der Forstamtstraße mit seiner Frau Maria, geborene Pöhlein (1896 bis 1991) dieses Gebäude alleinstehend auf dem Grundstück im Scherlitzgrund. Ob das Haus für sie selbst oder für eines ihrer Kinder gedacht war, ist nicht mehr festzustellen. Die Steine zum Bau holte man vom nahen Steinbruch am Bergfeld. Das Haus thronte majestätisch am Berg, weshalb der Name Berg-Café besonders geeignet war.


Drei Geschwister

Der älteste Sohn Georg (geboren 1920) fiel im Zweiten Weltkrieg, der jüngere Bruder Heinz (+1932) besaß ein großes künstlerisches Talent als Schnitzer und Maler. Tochter Hildegard Albertine, genannt Hilde, sollte mit ihrem Mann Willy für einige wenige Jahre das Berg-Café führen. Doch wie war dieser Willy August Hermann Schwarzer, der im Riesengebirge das Licht der Welt erblickt hatte, eigentlich nach Stadtsteinach gekommen?
Stadtsteinach blieb nicht verschont von den Menschenbewegungen seit Ausbruch des Krieges. Schon 1939 kamen etwa 300 Saarländer nach Stadtsteinach und wurden in Privathäusern untergebracht. Sie kehrten im Sommer 1940 wieder heim.

Um die gleiche Zeit erfolgte die erste Einquartierung von Soldaten in Stadtsteinach, später der erste Transport französischer Kriegsgefangener als Arbeitskommando. Stadtsteinach war ein richtiges Garnisonsstädtchen geworden.

Und so herrschte Hochbetrieb in allen Gasthäusern, oft wurden Tanzabende gehalten. Einige junge Burschen aus diesem Bataillon blieben der Liebe wegen in Stadtsteinach "hängen". Männer wie Richard Wilzok, Helmut Gärtner, Fritz Liebig, Ewald Max Glauch, Hubert Taugs oder Adam Hellmuth kehrten nach Kriegsende und Gefangenschaft wieder in das kleine Städtchen zurück.

Bei der Einquartierung der Oberschlesier-Soldaten war auch Willy Schwarzer dabei. Er war 1913 in Kupferberg (jetzt Tannowitz) im Riesengebirge an der polnisch-tschechischen Grenze als Sohn des Briefträgers Hermann Schwarzer und dessen Ehefrau Anna geboren worden. In Stadtsteinach lernte Oberfeldwebel Schwarzer die junge Hilde Waas kennen. Sie heirateten im Juli 1941.

Nach Kriegsende und nach russischer Gefangenschaft in Estland kehrte Schwarzer nach Stadtsteinach zurück. Und nun wartete das idyllische Berg-Café auf das Paar, das der Krieg so lange getrennt hatte.
Am 13. August 1949 ließ Hilde Schwarzer das Gewerbe bei der Stadtverwaltung eintragen. Und bald stellten sich Gäste aus nah und fern ein. 1951 kam viel Bewegung in das kleine Städtchen: Der Bundesgrenzschutz bezog die Postbauten. Die vielen "Grenzer" waren eine starke und treue Kundschaft auch im Berg-Café. Wenn man bedenkt, dass etwa 70 BGSler in Stadtsteinach ihre Liebe fanden, kann man sich vorstellen, wie viele Jungverliebte sich (nicht nur) im Berg-Café näher kamen...


Spezialitäten aus dem Garten

Als man im Jahre 1951 die 800-Jahr-Feier von Stadtsteinach prunkvoll inszenierte, präsentierte auch die Familie Schwarzer im Berg-Café ihre Angebote, um Gäste anzulocken. So pries man Erdbeerbowle und andere Spezialitäten des Hobby-Gärtners Willy Schwarzer an.
Beruflich war Willy Schwarzer übrigens im Amtsgericht Stadtsteinach und später im Amtsgericht Kulmbach tätig. Er verstarb im Jahre 1984.

Leider wurde das Gewerbe "Berg-Café" mitsamt Fremdenpension zum 31. Dezember 1953 abgemeldet.
Doch in Erinnerung bleibt die schmucke, liebevoll gestalte Idylle allemal...




Die Nutzung der Postbauten in Stadtsteinach


1937 kauft die damalige Reichspost das knapp sechs Hektar große Grundstück, um darauf ein Kindererholungsheim zu errichten.

1944 zieht die Forschungsanstalt der Deutschen Reichspost ein.

Am 30. Mai 1945 besetzen amerikanische Truppen die Postbauten, geben sie aber schon sechs Monate später wieder in die Verwaltung der Deutschen Post.

Bis 1947 ist der weitläufige Komplex als Ausländerlager in Betrieb.

1947 werden die Postbauten zum Schulungsheim der Post, das aber bereits 1950 nach Kleinheubach verlegt wird.

Ab 1951 bis Mai 1952 nutzt der Bundesgrenzschutz die Gebäude. Das Grenzschutzkommando Süd hat damit seine Anfänge in Stadtsteinach.

Von Mai 1952 bis Mai 1955 Leerstand.

1955 Rückkehr des BGS (bis Februar 1962).

Zwischen 1962 und 1966 gibt die Bundeswehr ein Gastspiel in den Postbauten.

Ab 1969 Sitz des gemeinnützigen Hilfswerks Salem.