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Ein Abend mit Seltenheitswert im Blauen Haus


Autor: Horst Wunner

Döllnitz, Sonntag, 04. November 2018

Es ist einer jener ungewöhnlichen Abende, die Seltenheitswert haben.
Einen außergewöhnlichen Konzertabend bescherte Sylvia Kirchherr den Besuchern im Blauen Haus in Döllnitz.     Fotos: Horst Wunner


Einer von jenen, die im Gedächtnis bleiben, weil man nicht damit gerechnet hat. Da kommt ins Blaue Haus, für seine besonderen Auftritte längst bekannt, eine Frau namens Sylvia Kirchherr - eher unbekannt. Der Besuch ist entsprechend, gerade mal 20 Besucher haben sich nach Döllnitz verirrt. Aber sie erleben Außergewöhnliches.

Die 42-Jährige, am Fuß der Alpen geboren, wie sie es selbst ausdrückt, setzt sich hin, nimmt die Gitarre in der Hand und lächelt abwartend, sucht die Blicke zum Publikum, möchte Nähe. Und man spürt vom ersten Ton, vom ersten Vokal an, dass sie einen mitnehmen will auf eine Seelenreise, zum sich Wiederfinden, in sich Hineinhören. Und zwar mittels Jodeln.

Passt das zusammen?, Ja, wenn man es so macht, wie diese Künstlerin. Fein changierend, tief aus der Kehle strömend kommen die Lieder, die Freude am Leben ausdrücken und tief hinein ins Bewusstsein dringen. Spanische Texte, bayerisches Volksempfinden verbinden sich, langgezogene Tonbögen bis zum Extremen in hoher Stimmlage mit einer unglaublichen Reinheit. Nicht das alpenländische Jodeln, sondern eben anders, konzertanter, musikalischer und stilistisch an weit entfernte Gestade erinnernd.

Sylvia Kirchherr gibt sich ganz intuitiv, schreit zuweilen auch den Schmerz hinaus und fängt ihn zart wieder ein. Echohafte Bruchstücke, jedoch gekonnt ineinander verwoben, alle Tonskalen auslotend, lassen einen fast träumen. Von was?, Man kann es nicht so genau sagen, es ist ein Wegdenken auf Zeit, ein bisschen Verlorensein. Weil diese Frau die Gabe zur Suggestion hat und den Zuhörer wie eine Schamanin in den Bann zieht. Hypnose wäre übertrieben, aber ein Stück davon ist spürbar.

"Viva la vida" oder "Kinibergjodler" heißen die Titel, "Sole", "Pajarido" und "Jeder Tag ein Sonnenstrahl". Tierlaute werden nachempfunden, der Rhythmus flutet durch die Körper der Zuhörer. Fast stereotype, sich aneinander reihende Tonfolgen, jedoch sehr melodiös, finden zur inneren Ruhe.

Dann wird es mal wieder richtig lustig, die Bardin weckt Neugier mit Gebärdensprache und leisem Humor, nie vordergründig oder aufzwingend. Als sie das Handpan, ein Klanginstrument mit besonderer Schlagtechnik und warmen, intensiver Ausstrahlung, auf die Knie legt und loslegt, beschwörend in sanfter Melancholie, glaubt man sich ans offene Feuer weit draußen in die Berge versetzt.

Und auf der Trommel spielt Sylvia Kirchherr wie in Trance, auf der Ukulele temperamentvolle Kaskaden - mit voller Inbrunst. Gab es schon zwischen den Stücken starken Beifall, wollte das Publikum zum Finale mit dem Klatschen gar nicht mehr aufhören. Die Künstlerin nahm es gerührt an.