Druckartikel: Die Philosophen vom Lande

Die Philosophen vom Lande


Autor: Irmtraud Fenn-Nebel

Kasendorf, Mittwoch, 24. August 2016

Rund um den Görauer Anger im Kulmbacher Land leben pfiffige Jungs, Korbmacher in der vierten Generation und Einheimische, die ihre Heimat lieben.
Tim (links) und Moritz sind beste Freunde. Die beiden 13-Jährigen helfen nicht nur während der Sommerferien gern in der Landwirtschaft. Foto: Irmtraud Fenn-Nebel


"Wissen Sie", sagt Moritz, kneift seine Augen zusammen und schaut vom Traktorsitz herab über Äcker, Sonnenblumen und Windräder ins weite Land. Und was dann kommt, bringt mich noch lange nach unserem Gespräch zum Lächeln: "Wissen Sie", sagt also der 13-jährige Moritz Herold auf die Frage, ob er gern die ganzen Ferien über auf dem Feld arbeitet, "ich war noch nie in Urlaub. Ich lebe noch, ich atme noch und ich laufe nicht grün an. Und Sorgen hast du nach dem Urlaub genauso wie vorher."

Das haut rein! Philosophie auf einem oberfränkischen Acker mitten auf dem Jura - grandios. Moritz aus Modschiedel und seinen ebenfalls 13-jährigen Freund Tim Dück aus Görau habe ich bei der Feldarbeit aufgespürt, nachdem ich zuvor den Zielort meines Pfeils aufgesucht hatte: Einen Acker bei Zultenberg unterhalb vom Görauer Anger im Landkreis Kulmbach.


Irgendwo werden doch Gesprächspartner zu finden sein?

Es ist ein schöner Acker mit bestimmt guter Erde, das Korn steht voll und wiegt sich im Sommerwind. Ansonsten ist nichts zu sehen und zu hören außer dem dem leisen Rotieren der Windräder, von denen es in der Gegend viele gibt. Ich steige also wieder ins Auto und fahre los, irgendwo werden doch ein paar Menschen sein?

Nicht weit entfernt auf einem anderen Acker zieht ein Traktor seine Bahnen. Ich eiere soweit wie möglich mit dem Auto den Hang hoch und muss zusehen, dass ich nicht in den Graben rutsche. Die restlichen Meter laufe ich, postiere mich vor dem nahenden Gefährt und winke. Der Traktor stoppt, das Fenster geht auf und heraus schauen zwei fröhliche Buben. Sie sind gleich einverstanden, mit mir zu plaudern und erzählen mit ebenso viel Gekicher wie Ernsthaftigkeit, was sie so treiben.


In der Stadt leben? Nein danke!

Heute müssen sie drei Rapsfelder bearbeiten. Sie gehören Tims Familie, die Eltern von Moritz haben ihre Landwirtschaft aufgegeben. Weil Moritz aber auf dem Bauernhof aufgewachsen ist, hilft er nach wie vor gern - zum Beispiel bei den Dücks. Auch Tim erzählt, dass er von klein auf beim Vater auf dem Traktor mitgefahren ist und überall angepackt hat. Für ihn ist klar: "Ich will später mal in die Landwirtschaft." Moritz wirft ein: "Geh' lieber in die Bosch, da hast du dein Geld und feste Arbeitszeiten."

Einig sind sich die Jungs in einem anderen Punkt. "Wenn wir in der Stadt wohnen würden, würden wir eingehen." Als ich sie vor dem Traktor fotografiere und frage, ob ich ihnen den Artikel zumailen soll, lachen die beiden. "Des brauch' mer net. Wir kaufen lieber die Zeitung." Ich muss wieder schmunzeln. In solchen Momenten liebe ich meinen Beruf!


Mit Herzblut in der Landwirtschaft

Tim und Moritz sind bis auf Sonntag und Regenwetter täglich frühmorgens im Einsatz. Dass sie nicht in Urlaub fahren - siehe Philosophie. Und Tim sagt, "ich war ja in den Pfingstferien schon weg." Also ackern sie, grubbern, pflügen und "lesen" dabei immer schön die Steine, damit an der Maschine nichts kaputt geht. "Eine Schraube", Moritz hält sie mir hin, "mussten wir heute schon auswechseln." Das könnt ihr? Keine Frage! Wenn sie mit einem Acker fertig sind, rufen sie Tims Mutter an - sie fährt den Traktor dann über die Straße, die Jungs dürfen ja nicht auf öffentlichem Gelände herumkurven.


Vier Generationen Korbmacher

Herumkurven ist mein Stichwort, beschwingt laufe ich zurück zum Auto und fahre weiter. Ein Ortsschild kommt: Görau. Gleich dahinter eine Werbetafel für eine Korbflechterei. Ich parke auf dem Hof und sehe durch die geöffnete Tür eines großen Gebäudes einen Mann an einem Tisch sitzen. Es ist Elmar Oppel, Korbmachermeister in der vierten Generation.

Während seine Vorväter ihren Lebensunterhalt mit der Anfertigung von Körben für die Landwirtschaft verdient haben, hat der "Junior" neue Geschäftsfelder erschlossen. Regelmäßig fliegt er nach Asien und importiert Dekoartikel sowie alle Arten von Körben, die er im Familienbetrieb mit Frau und Tochter an Händler sowie über einen Katalog und das Internet verkauft. Den Stall der früheren Landwirtschaft hat er zum Lager umfunktioniert. Unten gibt es auf langen Regalflächen hübsch präsentiert die Auslage für den Direktverkauf, oben stapeln sich Flechtartikel, soweit das Auge reicht.


Eigenkreationen, Reparaturen und Importwaren

Natürlich fertigt Oppel auch selbst Körbe an. Stolz zeigt er mir ein wunderschönes Exemplar: "Den hab ich aus zig ungeschälten Weidensorten gemacht und stelle ihn an meinem Stand beim Korbmarkt aus." (Korbmarkt Lichtenfels 17./18.9., Anm. d. Red.). Fotografieren darf ich ihn nicht, "sonst kupfert ihn noch einer ab", sagt Oppel und lacht. Außer Unikaten nach eigenen Ideen entstehen in seiner Werkstatt auch Auftragsarbeiten und repariert er Stühle, regelmäßig kommen Busgesellschaften zu Besuch und lassen sich seine Künste vorführen.

Auf Oppels Empfehlung fahre ich zum Abschluss meiner Tour zum "Görauer Anger". Der über fünf Kilometer lange Höhenzug mit seiner Hochlandsteppe und den vielen geschützten Blumen- und Pflanzenarten wird - zu Recht! - als einer der schönsten Aussichtspunkte und Wandergebiete in Franken beworben.


Ist doch wurscht, wenn's stinkt

Oben treffe ich Florian Hafermann-Josephus aus dem nahe gelegenen Weismain, der seinen Sohn Paul auf dem Mountainbike spazierenfährt. Die Tour aufs Felsplateau ist ihre Stammstrecke. "Hier rasten wir immer und essen einen Apfel", sagt der Papa.
Als er den Rückweg über Feldwege, vorbei an Windrädern und durchs Bärental beschreibt, klinkt sich Paul ein und sagt ernst: "Da ist die Silage. Da stinkt's." Wir lachen und wissen: Egal, der Gestank geht vorbei. Nicht vorbei geht das Gefühl, das Hafermann-Josephus beschreibt. Er verbringt heuer die Ferien Zuhause und hat festgestellt: "Wir leben da, wo andere Urlaub machen."

Schon wieder eine philosophische Anwandlung! Aber auch die reine Wahrheit. Ich schaue noch einmal ins weite Land, atme tief durch und genieße. Unsere Heimat ist einfach schön.

Im elften Teil der Serie berichtet Peter Groscurth am Dienstag über seine Erlebnisse in Pfersdorf bei Poppenhausen im Landkreis Schweinfurt.
























































































































































































































































Im elften Teil der Serie berichtet Peter Groscurth am Dienstag über seine Erlebnisse in Poppendorf.